ignorierte Hinweise

Bereits Anfang April 2021 wurde das Regierungspräsidium auf Gefahren durch die Altlasten hingewiesen. Nachdem keine Reaktion erfolgte, wurde die Presse informiert - ausführlich berichte die Oberhessische Presse. Laut Bericht der Hessenschau weist das Regierungspräsidium jetzt diesen Vorwurf zurück. Sie seien jedem Hinweis nachgegangen und es sei nie etwas herausgekommen (im Podcast ab Minute 1:40 Uhr).

Faktencheck

Weiter unten findet sich die Pressemitteilung vom 27.4.21. Darin wurde mit Quellenangaben auf diverse Gefahren hingewiesen:

 

1) Im vom Ausbau der A 49 betroffenen Gelände sind erbgutschädigende, krebserregende Sprengstoffe dokumentiert, die im Planfeststellungsbeschluss nicht aufgelistet sind und auch der Bundesregierung bisher nicht vorliegen.   

Das ZMW hat nach diesen Hinweisen drei neue Parameter in die Beprobung des Wassers mit aufgenommen. Das Regierungspräsidium ist weder einer Bitte, noch einer Aufforderung der Aufnahme dieser Parameter nachgekommen. 

 

2) Wurzelstöcke, die laut einem Leitfaden zu Sprengstoffaltlasten über Auswaschungen Sprengstoffreste aufnehmen wurden geschreddert und über die Trasse verteilt.

Das Regierungspräsidium entgegnete, es seien mehr als 600 Tonnen Wurzelmaterial entsorgt worden. Dabei ignorierte es, dass für die erst in 2020 gerodeten Wurzelstubben im Sanierungsbereich keine Entsorgungsprotokolle vorliegen und dass die Wurzelstubben aus den nicht sanierten Bereichen ohne weitere Beprobung gehäckselt und über die Trasse verteilt wurden. Dies ist insofern schwer verständlich, da im April 2019 - offensichtlich überraschend - in Wurzelstubbenproben aus dem "Weißbereich" (also dem angeblich nicht belasteten Bereich) Kontaminationen festgestellt wurden und daraufhin statt der ursprünglich geplanten 15 Tonnen über 600 Tonnen entsorgt worden waren. Anders als das Regierungspräsidium in der Oberhessischen Presse zitiert wird, enthielten die Wurzelstubben durchaus Schadstoffe! (Die Protokolle liegen dem Autor vor.)

Das Regierungspräsidiums war Anfang Mai 2020 über Baumwurzeln auf der Trasse informiert worden, die positiv auf einen Schnelltest angeschlagen hatten. Diesem Hinweis wurde nicht nachgegangen. Im Juli antwortete das RP: "Der von Ihnen angesprochene positive Befund durch den Janovsky-Schnelltest liefert vorliegend aus mehreren Gründen keine belastbare Aussage: ...  die Methode (ist) als solche weder akkreditiert noch standardisiert und zudem unspezifisch. Sie beruht nicht auf objektiv nachprüfbaren Qualitätsstandards, die aber für eine belastbare Bewertung der Ergebnisse erforderlich sind...." (Dem widersprechend berichtet die Oberhessische Presse am 13.5.22, dass das Regierungspräsidium mithilfe eines Janowsky-Schnelltests sprengstofftypische Verbindungen nachgewiesen habe, die nun näher beprobt würden!)

 

3) Laut einem Gutachten sind im betroffenen Gelände auch in Ton und Buntsandstein Sprengstoffverbindungen nachweisbar- dies scheint bei der Sanierung ebenfalls nicht beachtet worden zu sein.

Eine fehlende Reaktion auf diesen Hinweis lässt darauf schließen, dass sich das Regierungspräsidium nicht veranlasst sah, im April 2020 gefundene Mauersteine im WASAG-Gelände beproben zu lassen.

 

4) Es ist wahrscheinlich, dass die giftigen Stoffe, die momentan freigesetzt werden, über Versickerung ins Grundwasser gelangen. Wegen der Fließrichtung gelangen sie von dort ins nahegelegene Wasserschutzgebiet, aus dem sich die Trinkwasserversorgung von 500.000 Menschen speist.

Bei weiteren Recherchen zeigte sich, dass zwei der drei Grundwassermessstellen nicht beprobt werden, die laut Sanierungsplan neu eingerichtet werden sollten. Im Sanierungsplan ist dokumentiert, dass die vorhandenen Messstellen das Abstromgebiet der neu sanierten Fläche nicht überwachen und daher diese drei weiteren zu beproben sind. Diesem Hinweis ist das Regierungspräsidium nach beharrlichem Nachfragen insoweit nachgekommen, dass es im Sommer 2021 eine der beiden fehlenden Messstellen ins Grundwassermonitoring aufgenommen hat. Die zweite Messstelle wurde zwar auf dem Papier mit aufgenommen, allerdings nicht beprobt, weil sie in der Zwischenzeit schon von der Autobahn überbaut wurde. Der  Aufforderung, eine Ersatzmessstelle einzurichten, wie im Bescheid zum Sanierungsplan gefordert, ignorierte das Regierungspräsidium bis heute.

 

5)  Gebäude- und Mauerreste zeigen, dass die Sanierung des Geländes noch nicht abgeschlossen ist. Damit sind die Nebenbestimmungen zum Bodenschutz im Planfeststellungsbeschluss nicht erfüllt.

Dem Hinweis auf gefundene Grundmauern eines nicht kartierten Gebäudes auf der Trasse wurde erst nach mehrmaligem Insistieren fünf Monate nach dem ersten Hinweis im September 2021 mittels Beprobung des Bereiches nachgegangen. Diese zeigte - teilweise erhebliche - Kontaminationen auf. Bis dahin waren die Mauersteine und ein großer Teil des Bodens aber schon verschwunden. 

Die Umgebung eines anderen Gebäudes, das auf einer Karte verzeichnet war, die dem Regierungspräsidium anscheinend nicht vorlag, das in unmittelbarer Nähe der Trasse liegt, wurde trotz Hinweisen nicht beprobt, mit der Begründung, das Gebäude selber liege nicht direkt auf der Trasse. Dabei beschränken sich Kontaminationen v. a. aufgrund der Sprengungen nach dem Krieg nicht auf den Bereich der Grundmauern des Gebäudes, sondern erstrecken sich über ein größeres Umfeld.

 

Weitere Recherchen führten zu weiteren Nachfragen beim Regierungspräsidium, aber nicht zu Konsequenzen:

 

6) Mangelhaftes Grundwassermonitoring

Auf den Vorwurf eines mangelhaften Grundwassermonitorings antwortet das Regierungspräsidium, es gäbe nicht nur zwei, sondern sechs Messstellen im Abstromgebiet der sanierten Flächen. Es gibt zwar sechs Messstellen im WASAG-Gelände, die meisten von ihnen überwachen aber einen anderen Bereich. Nur zwei  Messtellen (WAS 7 und A 33) überwachen das Abstromgebiet, davon eine erst seit 2021. (Zu der Messstelle WAS 14 neu, die neu eingerichtet wurde, konnte das Regierungspräsidium trotz Nachfrage bisher den genauen Ort nicht übermitteln).

 

7) Fehlende Nullmessung auf sprengstofftypische Parameter

Den Hinweis, für die Messstelle A 33 läge die geforderte Analyse der sprengstofftypischen Paramenter vor, entgegnet das Regierungspräsidium, die Auflage des Sanierungsplans, sämtliche Messstellen vorab auf sprengstofftypische Parameter zu beproben, wäre umgesetzt. Allerdings wurde die Messstelle A 33 zwar vor Beginn der Sanierungsarbeiten beprobt - die geforderten sprengstofftypischen Parameter fehlen allerdings!  (Das Beprobungsprotokoll liegt dem Autor dieses Textes vor).

 

8) Sickerwasserprognose

Das Regierungspräsidium schreibt auf eine Anfrage zu der im hessischen Handbuch Altlasten geforderten Sickerwasserprognose"Zur Bewertung des Wirkungspfades Boden-Grundwasser sieht die BBodSchV die Durchführung einer Sickerwasserprognose in der orientierenden oder der Detailuntersuchung vor. Eine Sickerwasserprognose hat hierbei die Aufgabe, den derzeitigen und zukünftigen Stoffeintrag in das Grundwasser hinsichtlich Konzentrationen und Frachten abzuschätzen.... Aufgrund der erfolgreichen und abgeschlossenen Altlastensanierung im Trassenbereich der WASAG (=keine Schadstoffquelle mehr vorhanden) besteht hierzu kein Erfordernis." Dabei verbleiben ja nach Sanierungen immer noch Schadstoffe im Boden. Und es wurde ja nur die Hälfte der Trasse saniert. Und selbst für die sanierten Flächen gilt, dass nach Kenntnis der Verantwortlichen relevante Schadstoffe im Boden verblieben sind (wie ein Blick in den Abschlussbericht zur Sanierung und ins Bodenmanagementkonzept verrät).

 

9) Sanierungstiefe

Auf den Hinweis, eine Sanierungstiefe bis drei Meter sei unzureichend, da die Trasse um bis zu elf Meter abgetragen wird, antwortet das Regierungspräsidium, diese Sanierungstiefe entspreche dem Leitbild von Stadtallendorf. Später wird es genehmigen, dass (innerhalb der Sanierungstiefe von drei Metern) Restbelastungen in Baugruben verbleiben, die für die Trasse um ca. sechs Meter abgegraben werden, ohne Auflagen für die Entsorgung dieser Kontaminationen zu machen. Später schreibt das Regierungspräsidium auf eine HUIG-Anfrage: "Der Boden innerhalb der Autobahntrasse wurde zudem aufgrund der tieferen Lage der künftigen Fahrbahn vollständig abgetragen."  Das ist erwiesenermaßen nicht der Fall.

Im Bodenmanagementkonzept gibt es für den Boden der Trasse lediglich die Auflage, dass ein externer Fachgutachter optische oder olfaktorische Auffälligkeiten melden soll. Sonst darf sie laut Bodenmanagementkonzept an anderen Stellen der Trasse eingebaut werden. Das widerspricht dem Bescheid zum Sanierungsplan. Denn laut diesem Dokument vom 3.12.18 „gilt das Sanierungsareal bodenschutzrechtlich als saniert, solange die vorgesehene Nutzung nicht geändert wird und keine Konvertierung erfolgt.“ (Punkt 5.25, S. 14). „Im Falle einer Konvertierung und/oder Umnutzung (ist) eine erneute bodenschutzrechtliche Bewertung des Areals erforderlich“ (ebda.) Damit hätte dieses Konzept nicht genehmigt werden dürfen.

 

10) TNT im Fließgewässer

In dem Bach Jossklein, der direkt neben der Baustelle verläuft, wurde im Juli 2021 der Geringfügigkeitsschwellenwert für TNT um das Dreifache überschritten. Die schriftliche Reaktion des RP dazu lautet: "Der Nachweis von TNT in der Joßklein müsse nicht zwangsläufig auf die Bauarbeiten für die Autobahn zurückzuführen sein." Das RP veranlasste daraufhin eine eigene Beprobung der Joßklein. Nachdem diese negativ ausfiel, beendete das RP weitere Recherchen. Es verzichtete in dem Zusammenhang darauf, die im Planfeststellungsbeschluss geforderte Beprobung der entsorgten Böden des WASAG-Geländes einzufordern, die naheliegenderweise die Ursache für das TNT in dem Bach sind – ebenso wie für das TNT in einer Pfütze an der Baustelle. 

 

11) Umsetzung des Planfeststellungsbeschlusses

Auf den Hinweis, dass der Planfeststellungsbeschluss nicht vollumfänglich umgesetzt wurde, antwortet das Regierungspräsidium: "Alle Vorgaben des A-49-Planfeststellungsbeschlusses in Sachen Altlasten und Sanierungen seien „vollumfänglich umgesetzt“ worden." Allerdings:

Auf diese Verstöße ist das Regierungspräsidium mehrfach hingewiesen worden, ohne dass das zu Nachbesserungen geführt hätte. Die Planfeststellungsbehörde wiederum behauptet, sie sei weder für die richtige Umsetzung noch für die Kontrolle der Umsetzung des Planfeststellungsbeschlusses verantwortlich. Und das Fernstraßenbundesamt, das berechtigt ist, den Planfeststellungsbeschluss durchzusetzen, überprüft Beschwerden nicht, sondern handelt nur, wenn es vom Regierungspräsidium oder von der Planfeststellungsbehörde dazu aufgefordert werden. Aber die sehen ja beide keinen Handlungsbedarf.

Genehmigung unproblematisch???

 

Die Gießener Allgemeine gibt aus einer Stellungnahme des Regierungspräsidiums am 12.5.22 wieder: "Das war für das den Bau genehmigende RP auch kein Problem gewesen, da nach dessen Auffassung die Trasse nur den Außenbereich des damals 420 Hektar umfassenden Rüstungsbetriebs berührt und nicht die eigentlichen, in der Regel hochkontaminierten, Flächen der früheren Produktionsanlagen." Das ist falsch! Denn in Füllgruppen ist immer mit sehr hohen Belastungen zu rechnen, da hier der Sprengstoff in die Sprengkörper eingefüllt wird. Im WASAG-Gebiet wurden außerdem auch Sprengkörper zur Wiederverwendung des Sprengstoffes aufgeschmolzen (delaboriert), daher wurden 28.000 Tonnen hochbelastetes Material ausgetauscht (vgl. die Erklärung am Ende des Artikels der oberhessischen Presse). Und in der Ausschreibung zur Sanierung ist deutlich zu ersehen, dass sehr hohe Konzentrationen von Belastungen bekannt sind!   

Die Füllgruppe II, liegt dabei keineswegs im Außenbereich, sondern vielmehr mitten im Gelände des militärisch genutzten Teils des WASAG-Geländes.