Don't look up

Don’t look up oder: Die Realität des Trinkwasserschutzes in Hollywood

 

 „Don’t look up“, der frisch gepriesene Film mit Jennifer Lawrence, Leonardo di Caprio und vielen anderen berühmten Hollywoodstars (1), ist eine Mahnung für den Umgang mit folgenschweren Katastrophen und gleichzeitig ein Abbild dafür, wie Wasserschutz in Deutschland (nicht) funktioniert. Das zeigt sich am Beispiel der hochumstrittenen A 49. Dieser Ausbau, der Ferrero eine direkte Autobahnanbindung beschert, führt durch eins der größten und gefährlichsten Rüstungsaltlastengelände Europas, das trotz seiner Nähe zum Wasserschutzgebiet völlig unzureichend saniert wurde. (2) Auch wenn damit bei diesem Autobahnausbau nicht der ganze Planet Erde, sondern - neben einem  Naturschutzgebiet und dem gesunden, hart umkämpften Mischwald „Danni“ -  „nur“ das Trinkwasser von ca. 500.000 Menschen gefährdet ist, sind die Abwehrmechanismen der Verantwortlichen ähnlich. Das listet die folgende Gegenüberstellung auf (Achtung Spoileralarm: Die Filmhandlung wird in der Tabelle ausgeführt!):

 

Filmhandlung „Don’t look up“

Die Realität: Sprengstofftypische Verbindungen im Wasser nahe Stadtallendorf

Eine Wissenschaftlerin entdeckt, dass ein Komet auf die Erde treffen und diese zerstören wird.

Ein Chemiker entdeckt, dass wichtige Erkenntnisse zum Thema Rüstungsaltlasten und grundlegende Informationen zu dem betroffenen Altlastengelände bei der Sanierung des vom Autobahnausbau betroffenen Geländes ignoriert wurden, und dass damit das Trinkwasser durch den Ausbau der A49 massiv gefährdet ist. (2)

Die Wissenschaftlerin verifiziert ihre Entdeckung und findet vielfältige Unterstützung von anderen Wissenschaftler:innen.

Der Chemiker verifiziert seine Entdeckung und findet vielfältige Unterstützung von Sprengstoffexpert:innen.

Die Wissenschaftlerin meldet ihre Entdeckung dem Weißen Haus.

Der Chemiker meldet seine Entdeckung dem Regierungspräsidium und dem hessischen Verkehrsministerium bzw. der Planfeststellungsbehörde.

Die Wissenschaftlerin wird im Weißen Haus empfangen, aber vertröstet – schließlich wären bisher keine Exzellenz-Universitäten unter ihren Unterstützer:innen.

Der Chemiker wird zu einem Vorort-Termin auf dem Altlastengelände eingeladen, an dem ranghohe Verantwortliche des Regierungspräsidiums teilnehmen. Sämtliche seiner Erkenntnisse werden hier als irrelevant beiseite gewischt. Das ändert sich auch nicht, als er einen Nachweis des hochgiftigen TNT in einem nahegelegenen  (vormals unbelasteten) Oberflächengewässer vorlegt. (3)

Die Wissenschaftlerin wendet sich an die Presse. Sie wird zur Berichterstattung in eine Nachrichtenshow eingeladen, aber nicht ernst genommen.

Der Chemiker wendet sich an die Presse. Nur eine Zeitung berichtet zeitnah. Sie stellt den Vorwürfen die Stellungnahme des Regierungspräsidiums gegenüber, nach der angeblich keine Nachsanierung notwendig sei. Diese Stellungnahme ist in vielen Einzelheiten fehlerhaft. (4)

Die Präsidentin der USA entscheidet sich aufgrund der innenpolitischen Lage drei Wochen später, den Kometen mithilfe von Raketen auf eine andere Bahn zu lenken.

Die Altlastenverantwortliche des Regierungspräsidiums reagiert fünf Monate später auf einen der Vorwürfe: sie ordnet Baggerschürfen auf der Fläche der Trasse an, wo  unsanierte, unkartierte Grundmauern gefunden wurden – diese zeigen eine Kontamination an.

Die Operation wird nach dem Start abgesagt: ein einflussreicher Geldgeber der Regierung möchte die Inhaltsstoffe des Kometen zur Handyherstellung nutzen.

Die erwiesene Kontamination führt nicht dazu, dass eine weitere Sanierung eingeleitet wird, obwohl seit April ein großer Teil des dort befindlichen (und damit höchstwahrscheinlich ebenfalls kontaminierten) Erdmaterials auf der Trasse verteilt wurde.

Unbeprobt bleibt die Umgebung eines minimal neben der Trasse befindlichen kartierten Gebäudes, obwohl auch hier von einer Kontamination auszugehen ist. Die Vorwürfe zu den belasteten Hölzern, den nicht sanierten Kanälen und den nicht berücksichtigten Sprengstoffen (2) bleiben ignoriert, denn Geldgeber und Nutznießer der Autobahn möchten sie schnellstmöglich fertig gestellt haben.

Der Geldgeber sagt zu, den Kometen in kleine Teile zu spalten und damit die Gefahr durch den Aufprall auszuschalten.

In dem Projektvertrag zum Ausbau der A 49 - bereits im August 2020 unterschrieben (5), obwohl dem Regierungspräsidium der Abschlussbericht zur Sanierung (frühestens) seit März 2021 vorliegt (6) -  sichert der Auftraggeber (die DEGES) zu, dass die Altlasten ordnungsgemäß entsorgt werden (S. 69) und übernimmt das Risiko der Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses sowie die Haftung für Verzögerungen, die sich aus noch unabgeschlossenen Vorarbeiten ergeben (S. 34). (7)

Gespräche mit der Präsidentin führen ins Leere – sie verweist auf die Brillianz des Geldgebers.

Gespräche mit verantwortlichen Politiker:innen führen ins Leere – sie verweisen auf die Beteuerungen des Regierungspräsidiums, der Wasserschutz sei sichergestellt.

Die Mission schlägt fehl – der Geldgeber und die Präsidentin retten sich in ein Raumschiff.

Die Verantwortlichen haben die finanziellen Möglichkeiten, bei einer Verseuchung des Trinkwassers in nicht betroffene Gebiete umzuziehen.

Eine Botschaft des Films ist: „Der echte Komet … ist zwar unterwegs, er kann aber noch abgewehrt werden. Die Waffe haben wir in der Hand, wir müssten sie nur gemeinsam bedienen, damit sie wirkungsvoll ist.“ (8)

 

Vor allem Journalist:innen haben die Möglichkeit, daran mitzuwirken, dass die Katastrophe beim Ausbau der A49 - anders als im Film – noch abgewendet wird. Es wäre gut, dass diese durch ihre Berichterstattung einen Beitrag zur Sicherung des Trinkwasserschutzes leisten!

 

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1) Hier geht es zum deutschen Trailer: https://www.filmstarts.de/nachrichten/18538459.html

2) https://www.danni-lebt.de/un-recht/wasserschutz/altlasten/

3) Dabei erweist sich später, dass die von dem Chemiker durchgeführten TNT-Schnelltests, die als zu sensitiv und damit nicht aussagekräftig bezeichnet wurden, im benachbarten Altlastengelände der DAG genutzt wurden, um Kontaminationsflächen aufzuspüren. Vgl. S. 103 im Abschlussbericht https://www.him-stadtallendorf.de/download/broschueren/Abschlussbericht_MOSAL_lang.pdf

4) https://www.op-marburg.de/Landkreis/Ostkreis/Ruestungsaltlasten-auf-der-A-49-Trasse-bei-Stadtallendorf

Die Argumentation ist dabei nicht nachvollziehbar:

1)       Nach Meinung des Regierungspräsidiums liegen vor Ort keine Schadstoffe vor, die nicht untersucht wurden – das ist nachweislich falsch. (https://www.danni-lebt.de/un-recht/wasserschutz/sprengstoffliste/)

2)       Nach Aussage des Regierungspräsidiums geht keine Gefahr von Holzabfällen aus, weil 600 Tonnen Baumwurzeln entsorgt wurden. Allerdings gibt es unzählige Fotos von nach dem Ende der Sanierung auf der Trasse befindlichen Holzabfällen – kein Wunder, fielen bei den Arbeiten doch mehrere Tausend Tonnen an Wurzelstöcken an: https://www.danni-lebt.de/un-recht/wasserschutz/gefahr-durch-h%C3%B6lzer/

3)       Die Behörde verweist auf die vorhandene Überwachung des Grundwassers, verschweigt dabei aber, dass diese Überwachung nicht den Vorgaben des Sanierungsplans entspricht: https://www.danni-lebt.de/un-recht/wasserschutz/grundwassermonitoring/

4)       Die DEGES verweist auf die hohen Auflagen, unter denen die Sanierungsarbeiten stattgefunden haben, verschweigt dabei aber, dass ungefähr nur die Hälfte des von der Trasse betroffenen Altlastengeländes nach Aktenlage saniert wurde. Die andere Hälfte blieb ohne ausführliche Beprobung obwohl die Akten nachweislich unvollständig sind und Kontaminationen auch durch die unkontrollierten Sprengungen zu erwarten sind, die nach Kriegsende durchgeführt wurden: https://www.danni-lebt.de/un-recht/wasserschutz/sanierungsgebiet/

5) https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/StB/oepp-vertrag-a-49-ohmtal.pdf?__blob=publicationFile

6) Laut Behördensprecher Thomas Haas liegt dieser Bericht dem Regierungspräsidium seit dem 4.3.21 vor – also erst mehr als sechs Monate nach Unterschreiben des Projektvertrages und auch lange nach Beginn der Arbeiten. https://www.op-marburg.de/Landkreis/Ostkreis/A49-Behoerde-sieht-keine-Risiken-fuer-Grundwasser Dabei sind bis heute sämtliche Anfragen zur Einsichtsnahme in das Dokument unbeantwortet. Ebensowenig wurde bisher ein Nachweis vorgelegt, dass der Sanierungsbericht überprüft und die Fläche zur Bebauung freigegeben wurde.

7) Diese Zusagen erklären, warum die Hinweise zu den Mängeln bei der Sanierung unberücksichtigt bleiben. Stattdessen sagt das Regierungspräsidium zu, dass durch die abgeschlossene Sanierung und das Grundwassermonitoring eine Gefahr für das Trinkwasser ausgeschlossen sei, obwohl das Grundwassermonitoring nachweislich nicht den Vorgaben des Sanierungsplans entspricht. Auch erklärt das, warum die Hinweise von September 2020 ignoriert wurden, dass die vorgeschriebenen Ausgleichsmaßnahmen noch nicht vollumfänglich umgesetzt wurden. https://www.danni-lebt.de/un-recht/naturschutz/ausgleichsma%C3%9Fnahmen/

8) https://www.derstandard.at/story/2000132194590/dont-look-up-was-wir-vom-netflix-hit-fuer-das?ref=article