Gefährdungsabschätzung völlig unzureichend

Vergleich DAG-Gebiet

 

Hier ist dokumentiert, wie die Gefährdungsabschätzung im DAG-Gebiet durchgeführt wurde. Tausende von Proben! Im Vergleich dazu: im WASAG-Gebiet: 10!

WASAG-Gelände Trassenbereich:

Rot = nicht saniert - mehr als 50 % des Geländes

 

Nach Nebenbestimmungen 1 ist im WASAG-Gelände, in der Joßkleinaue und der Kleinaue nach § 9 des Bundes-Bodenschutzgesetzes (BBodSchG) vom 17.3.1998 (BGBl I S. 502), zuletzt geändert, durch Gesetz vom 9.12.2004 (BGBl I S. 3214) eine Gefährdungsabschätzung durchzuführen. Insbesondere die integrierte Gefährdungsabschätzung für Boden, Altgebäude, Kanäle und das Grundwasser ist vor Baubeginn auszuwerten.

 

 Obwohl Anhaltspunkte vorliegen, dass schädliche Bodenveränderung oder Altlasten vorliegt, wurden die vom Gesetz verlangten Maßnahmen nicht ergriffen: es wurden weniger als 115 Prozent des Geländes allein auf Grundlage von Plänen saniert: Boden wurde auf einer Fläche von rund 14.200 qm abgetragen (vgl. den Endbericht zur Sanierung vom 25. Februar 2021, Kap. 3.7 - hier sind sogar auch Flächen außerhalb der Trasse eingerechnet). Demgegenüber steht ein Fläche von ca. 105.000 qm, die im WASAG-Gelände von Abtragungen betroffen ist (auf einer Strecke von ca. 1,5 km wird Boden auf einer Breite von ca. 70 Meter abgetragen). Demnach wurden mehr als 85 % der Fläche nicht saniert.  Die nicht sanierte Fläche der Trasse auf dem Altlastengelände wurde nur punktuell beprobt, so dass für weite Teile keine Messwerte vorliegen, die eine Verunreinigung ausschließen. 

Im Planfeststellungsbeschluss (S. 58) heißt es, Detailuntersuchungen wären nach der Bestätigung von schädlichen Bodenverunreinigungen notwendig. Der rot gemalte Bereich wurde aber erst gar nicht beprobt - damit konnte auch keine Bodenverunreinigung bestätigt werden. Dabei war allen Verantwortlichen klar, dass es auch hier Kontaminationen gibt, u. a. da diverse Gebäude nach dem Krieg gesprengt wurden. Trotzdem wurde mehr als die Hälfte des Bereiches von vornherein aus der Sanierung entlassen. Nun wird dieser Bereich ausgebaggert und an andere Stellen verbracht, ohne dass dies Verbringung genauer dokumentiert ist.

Trefferquote im sanierten Bereich liegt nur bei ca. 68 % 

Von einem Altlastenexperten sind die Schwierigkeiten einer Gefährdungsabschätzung dokumentiert: (vgl. Punkt 5f des links

Grundlage einer Gefährdungsabschätzung ist eine historische Rekonstruktion. Diese muß den Betriebszeitraum, den Zeitraum der Demontage (i.a. 1945-1948) sowie die Zeit bis zur Gegenwart erfassen. Der "geregelte Betrieb" kann im allgemeinen recht gut rekonstruiert werden. Nicht bzw. nur ungenügend erfaßt werden mit der historischen Recherche

- Verteilungen von rüstungsaltlastenrelevanten Substanzen aufgrund von Bombardierungen, Unfällen und Explosionen während der Betriebszeit

- die genaue Rekonstruktion des Kanalisationssystems, in dem sich heute noch Schadstoffe befinden können bzw. das als Drainage wirken kann

- die Erprobung alternativer Produktionsverfahren, die i.a. nicht dokumentiert sind

- der Einsatz von Ersatzstoffen, hauptsächlich nach der Zerstörung der deutschen Grundstoffindustrie im Jahr 1944

- die oft provisorische Umstellung der Produktion von Angriffswaffen (z.B. Bomben) auf Verteidigungswaffen (z.B. Panzerfäuste) in den Jahren 1944 und 1945

- die verheerende und chaotische Abfallbeseitigung während der Produktionszeit

- die Sekundärkontaminationen, die durch die Demontage und Sprengungen der kriegswichtigen Anlagen in den Jahren 1945-1948 unter z.T. chaotischen, nicht zu rekonstruierenden Bedingungen durchgeführt wurde und

- die Verteilung kontaminierten Materials in der Zeit nach 1948, z.B. im Zuge der Folgenutzung des Standortes (HAAS 1992).

 

Prinzipiell muß also zunächst das gesamte Gebiet einer Rüstungsaltlasten-Verdachtsfläche als potentiell kontaminiert eingestuft werden. Selbst unter Zuhilfenahme von Luftbildern verschiedener Jahrgänge können nicht alle Altlastverdachtsflächen erfaßt werden.

Bei Erkundungen von Rüstungsaltlasten wurde festgestellt, daß oftmals kleine, hochkontaminierte Bereiche vorhanden sind (einige Quadratmeter), auf denen z.T. hunderte von Kilogramm unzersetzter Sprengstoff angetroffen werden (HAAS 1992).

Da ehemalige Rüstungsbetriebe oft eine Ausdehnung von mehreren Quadratkilometern besitzen, ist eine systematische Untersuchung der Gesamtfläche unmöglich, wie eine statistische Betrachtung zeigt: um einen Kontaminationsherd mit einer typischen Größe von 7 m¨ (der Größe eines Scheunentores) auf einer Fläche von 100 m¨ (10*10 m) mit 68 %iger Wahrscheinlichkeit mit einer Rastersondierung zu treffen, sind 16 Sondierungen notwendig. Pro Quadratkilometer Fläche müßten also 160.000 Sondierungen vorgenommen werden (HAAS 1992). Mit einer Rastersondierung mit einer Maschenweite von z.B. 50 m (400 Proben pro Quadratkilometer Fläche) werden somit lediglich großflächige Bodenkontaminationen erkannt, da die Trefferwahrscheinlichkeit (s.o.) lediglich bei 0,17 % liegt. 

 

Es heißt im folgenden: Bei objektorientierter Beprobung liegen die Trefferraten i.a. zwischen 15 und 50 %. Allerdings gibt es gute Möglichkeiten beim Aufspüren von kontaminierten Flächen eine Trefferrate von 80-90 % zu erreichen, wie dort im folgenden dargelegt ist." (Quelle: http://www.r-haas.de/V16.html  Punkt 5 und 6.1.)

 

Im Planfeststellungsbeschluss verlangt lediglich eine Rastersondierung von 16 Proben auf 100 m2 Baufläche (S. 58 NB 3). Damit wurde bewusst in Kauf genommen, dass nach der Sanierung mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:2 noch Kontaminationen im Boden  verblieben sind, die mit der Tieferlegung der Trasse ausgebaggert und an andere Orte verteilt werden - auch an Stellen, wo das Grundwasser nicht auf sprengstofftypische Verbindungen beprobt wird. “ 

Weitere Anhaltspunkte für mangelhafte Gefährdungsabschätzung

U. a. gibt es folgende Belege dafür, dass die bisherigen Maßnahmen für die Gefährdungsabschätzung nicht ausreichen:

 

1.      Nach dem Krieg wurden große Restbestände an Munition gesprengt (S. 54 des links) – damit kann für keinen Bereich eine Kontamination ausgeschlossen werden. So heißt es in einem Gutachten von Preuss (18.2.1990): „Bei explodierten Geschossen und Bomben kann, wie Stettbacher (1948/80) zeigt, ein Teil des Sprengstoffes bei der Explosion nicht umgesetzt werden und dann Bodenbelastung wirken. (S. 25)

2.      In dem Gutachten wird außerdem bestätigt: „Zwischen den dokumentierten Zuständen können durchaus Eingriffe erfolgt sein, die mit diesen Quellen nicht erfassbar sind.“ Dazu zählen sowohl die Standorte wie auch Ablagerungen und Veränderungen der Oberfläche. (S. 24)

3.      Die Sanierungen orientieren sich hauptsächlich an alten Gebäudeplänen. Luftbilder dokumentieren , dass sprengstofftypische Verbindungen an vielen Stellen außerhalb der Gebäude gelagert wurden. Luftbildaufnahmen in einem Gutachten von 1991 zeigen außerdem Minen und offen gelagerte Kisten. Auch in der Presse wurde berichtet, wie wenig über die Gebäude bekannt ist: Verantwortliche waren über die Lage eines Küchengebäudes überrascht"Dass sich das Lager an genau dieser Stelle im Herrenwald befand, war auch für Experte Jürgen Wolff vom Heimat- und Geschichtsverein ­eine Überraschung. „Wir hatten es an einer anderen Stelle vermutet“, berichtet die Oberhessische Presse.

4.       „Auf eine Beprobung des Horizonts 0 bis 0,1m wurde in Abstimmung mit dem HBM verzichtet, da aufgrund des hohen Bauschuttanteils eine Beprobung dieses Horizonts teilvielfach nicht sinnvoll möglich war..“ (Erläuterungsbericht Bodenuntersuchungen 2008, S. 43)

5.      Laut dem Dokument „Entmilitarisierung, Entmunitionierung – Haushaltsangelegenheiten Hessen (Schriftverkehr 1952-1955)“  aus dem Bundesarchiv Koblenz (zitiert ebda. S. 66ff) gab es 2.500 Meter an teilweise sprengstoffinkrustierten Eisenrohre, die mutmaßlich gesprengt wurden. Solche Eisenrohre waren vor kurzem noch auf der Trasse zu finden. 

6.      Laut diesem Dokument wurden 50 Kubikmeter Hexogen mit Kalk neutralisiert. Im Erläuterungsbericht ist vermerkt, dass der Ort auf dem WASAG-Gelände, an dem dieses Hexogen verblieb, nicht zugeordnet werden kann (ebda).

7.      In dem Bericht ist außerdem ausgeführt, bei der Kanalerkundung sei in einer Probe AOX in Spuren feststellbar gewesen. „Dieser Kabelschacht liegt südlich der Artilleriestr. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite wurde in Kanal 404175 ein deutlicher Lösemittelgeruch festgestellt. Ob die AOX-Belastungen in Probe ESW A010 mit dieser Kontamination in Verbindung steht, kann nur vermutet werden.“  (ebda. S. 182)- Auch dieser Bereich wurde nicht saniert, obwohl Anwohner:innen im Frühjahr 2021 erneut auf den ungewöhnlichen und penetranten Geruch hinwiesen.

8. Im Erläuterungsbericht des hessischen Baumanagement vom 6.1.2010 heißt es außerdem: „Aufgrund der Kanalwasser- und Feststoffanalyse konnte für einige Abläufe ehemaliger Produktionsgebäuden Schadstoffverfrachtungen nachgewiesen werden. Die Ergebnisse sind bei der weiteren Vorgehensweise zu beachten.“  (S. 47) Trotzdem wurde auf eine durchgängige Beprobung des Trassenbereiches verzichtet. 

9.  Im Bericht zur Durchführung vom Bodenuntersuchungen der Erkundung der Altkanalisation des WASAG  Gebietes Stadtallendorf (Erläuterungsbericht Bodenuntersuchungen 31.3.08) ist bestätigt, dass „teilweise nicht exakt bekannte Gebäudelagen“ vorhanden sind und obwohl bereits im „Gutachten zur Orientierenden Untersuchung … auf fehlende georeferenzierte Luftbilder als grundlegendes Problem“ hingewiesen wird (S. 186). Vgl. auch das Bild der Mauerreste auf der Trasse - das Regierungspräsidium hatte bisher trotz eines vorgelegten Fotos kein Interesse zu untersuchen, ob es sich hier eventuell um ein zu sanierendes Lagergebäude handelt. Und es gab sogar ein auf alten Plänen nachgewiesenes Gebäude im Bereich der Trasse, dessen Bereich nicht saniert wurde.

10.  Die Festlegung von „Kontaminationsschwerpunkten“ (ebda., S. 227) zeigt deutlich, dass nicht davon ausgegangen wurde, dass es Bereiche ohne Kontamination gab.

11.  Luftbildaufnahmen bei googlemaps.de zeigen für nicht beprobte Bereiche der Trasse deutliche Schäden beim (ehemaligen) Baumbewuchs - starke Indizien für eine Kontamination mit sprengstofftypischen Verbindungen.

12. Dass bisher nur die Füllgruppe 2 saniert wurde, lässt auch völlig außer Acht, dass die Reichweite der Belastungen vom Mittelpunkt aus mindestens 250 m betragen, teilweise eine Abgrenzung auch überhaupt nicht erkennbar ist. (vgl. dazu  Annette Joos u. a., Leitfaden Rüstungsaltlasten, S. 75 und 83) Auch bei der Sanierung des nahegelegenen DAG-Geländes wurde festgestellt, dass die Abgrenzung mehrerer Belastungsfahnen aufgrund der hydrogeologischen Gegebenheiten nicht möglich war (vgl. den Abschlussbericht der HIM Monasta, S. 16)  Es damit völlig unzureichend, die Verdachtsbereiche nicht nur Beprobung zu identifizieren, sondern allein auf Basis der Auswertung von Planungsunterlagen.  

 

Auf Basis dieser Kenntnisse ist es unverantwortlich, dass die Gefährdungsabschätzung allein auf Basis von Dokumenten erfolgte. Außerdem ist damit das Argument des Regierungspräsidiums entkräftet, eine flächendeckende Untersuchung des gesamten WASAG-Geländes wäre unverhältnismäßig gewesen.

Vor allem aber sind damit die Nebenbestimmungen zum Bodenschutz im Planfeststellungbeschluss unzureichend erfüllt, die Voraussetzung für einen Beginn der A 49 Bauarbeiten sind. So wurden nach Ende der Sanierungsarbeiten noch Grundmauern eines nicht kartierten Gebäudes und nicht sanierte Altkanäle gefunden.