Skandale rund um den Hexylfund

... an der Artilleriestraße

Ende April 2022 (Bild vom 3.5.) wurde die Artilleriestraße im Altlastengelände der WASAG in Stadtallendorf aufgerissen. Sie muss der querenden Trasse weichen und wird durch einen Brückenneubau (Bauwerk 3) ersetzt.

Keine Beprobung

Knapp nördlich der Artilleriestraße (schwarze Linie) lagen die kontaminierten Hexapackhäuser 3084 und 3085, die nach dem Krieg gesprengt wurden. In ihrer Umgebung wurden im Rahmen der Sanierung gravierende Grenzwertüberschreitungen vor allem von Hexyl festgestellt. In den Sanierungsbaugruben durften Werte von bis zu 22,5 mg/kg Hexyl verbleiben, obwohl klar war, dass die Baugruben für die Tieferlegung der Trasse ausgehoben werden müssen und eine Verlagerung außerhalb des Altlastengeländes nur bis zu einem Wert von 0,02 mg/kg Hexyl erlaubt ist und der Boden selbst innerhalb des WASAG-Geländes nicht wiedereingebaut werden darf. Es wurde keine Sorge getragen, dass die Erde aus den Sanierungsbaugruben entsorgt wird. Stattdessen wurden auf einer Fläche von 35 m x 55 m fünf Proben zu Mischproben zusammengeführt. Und unerheblich, ob die 0,02 mg/kg Sprengstoff überschritten wurden oder nicht, wurde die Erde verlagert. Die Messungen endeten 45 Meter nördlich der Artilleriestraße. Auch nach dem Aufriss der Straße wurde keine Beprobung der Erde durchgeführt.

Quelle: Preuss, Eitelberg et al. 1991, Erkundung und Rekonstruktion des Sprengstoffwerkes der Westfälisch Anhaltischen Sprengstoff AG, erstellt für das RP Gießen in Vertretung für Umweltministerium Land Hessen

Laut Planfeststellungsbeschluss waren die Altkanäle zu beproben (rosa Linien). Die Kanäle von 3085 konnten bei den Voruntersuchungen zur Sanierung nicht aufgefunden werden. Ende April wurde das Regierungspräsidium Gießen aufgefordert, dem Planfeststellungsbeschluss entsprechend den Kanal zu beproben, der die Artilleriestraße kreuzt, Dieser Aufforderung wurde nicht entsprochen, obwohl in den Teilstücken des Kanals nördlich und südlich der Straße Kontaminationsverdacht vorliegt.

Außerdem zeigt auch der fehlende Bewuchs mit Pflanzen in diesem Satellitenbild von google maps, dass an (und  in dem vor der Verlagerung nicht nachbeprobten Bereich nördlich der Artilleriestraße) mit gravierenden Kontaminationen zu rechnen ist.

Schreddern

Der Straßenaufbruch wurde geschreddert - auch noch nach Erteilung des Baustopps.

Vor Ort waren zusätzlich zu den Rohren zahlreiche  weiteren Fremdmaterialien zu finden. Das Regierungspräsidium ordnete dennoch keine Abdichtung zum Schutz vor der Auswaschung von Giften an. Und die Staatsanwaltschaft schrieb, sie habe keine Fremdmaterialien entdecken können.

Der Hexylhaufen

Am 3. Mai war bereits ein Haufen mit Erde separiert worden. 

Löchrige Abdeckung

Am 8. Mai war der am 3. Mai separierte Haufen notdürftig abgedeckt - erstmals seit dem Ende der Sanierung. Die einzige Erklärung ist, dass hier Kontaminationen vermutet wurden. Dem Regierungspräsidium wurde anscheinend nichts gemeldet, obwohl das Vorschrift ist. Die deutlichen roten Verfärbungen motivierten Anwohner:innen näher zu kommen. Ein Janowsky-Schnelltest bewies: die Erde ist kontaminiert.

weitere Verlagerung

Am 9. Mai wurde das Regierungspräsidium informiert. Trotz der Nähe zu den gesprengten Hexapackhäusern durfte die Bau-ARGE bis zum Baustopp am 12. Mai noch über 6.000 Kubikmeter Erde aus der Baugrube abtransportieren - in die Dammaufschüttung zwischen Bauwerk 8 und 9, wo bereits in der Woche zuvor ca. 6860 Kubikmeter Erde eingebracht worden waren, die  demnach zeitgleich mit der separierten Erde ausgegraben worden war, und in die Dammaufschüttung zwischen Bauwerk 9 und 10, wo Erde von hier nur am 9. und 10. Mai 1.490 Kubikmeter eingebracht wurde.

Beprobt wurde nur die Dammaufschüttung zwischen BW 9 und 10, in die gerade einmal 1.490 Kubikmeter eingebracht wurden. Auf die Aufforderung hin, die andere Dammaufschüttung ebenfalls zu beproben antwortet das Regierungspräsidium: "Die Bezeichnung BW 3 in der Fuhrscheinliste umfasst daher nicht ausschließlich den Bereich unterhalb der Artilleriestraße."  Da die Erde nördlich und südlich der Straße laut den Aussagen des Regierungspräsidiums "freigemessen" ist, darf diese verlagert werden. (Dabei endete die "Freimessung" bei Baukilometer 58: 850 und damit 45 Meter nördlich der Artilleriestraße.) 

Beweisvideo vom 11. Mai

Dieses Video vom 11.5.22 zeigt, dass die Arbeiten an diesem Tag genau auf der Höhe der Artilleriestraße stattfanden. Und an diesem Tag wurde laut den Fuhrscheinlisten Erde ausschließlich in die unbeprobte Dammaufschüttung zwischen BW 8-9 dokumentiert. (Am 12. Mai wurde Baustopp verordnet.)

Die Baugrube

Dies sind die Ausmaße der Baugrube (im Hintergrund ist die Artilleriestraße zu sehen).  Es ist offensichtlich, dass hier mehr als 1.490 Kubikmeter Erde fehlen und dass bei den Verlagerungen nicht unterschieden wurde, ob die Erde aus dem nördlichen, mittleren oder südlichen Teil der Baugrube stammt. Und es ist klar, dass die Baugrube nun soweit ausgegraben war, dass bei einer Nachuntersuchung kaum noch Gift nachgewiesen werden konnte.

Entsorgung in Leverkusen!

... 1.490 Kubikmeter sind etwas mehr als die beiden Haufwerke in dem Bild unten, die 950 und 250 Kubikmeter umfassen.

Das Regierungspräsidium schreibt, hier wären nur "geringe Mengen Hexyl" nachgewiesen worden. Allerdings durfte er größere dieser beiden Haufen, der wegen der hohen Werte nicht in Wabern entsorgt werden durfte, sondern musste zu Currenta nach Leverkusen gebracht werden. Da hier wegen einer Exlosion im Sommer 2021 ein Annahmestopp herrschte, wurde die Erde erst Ende September entsorgt, lag also fast fünft Monate dort, ohne dass der Boden nach unten hin abgedichtet gewesen wäre.

 

Nicht nachvollziehbar ist auch, warum das Regierungspräsidium die gefundenen Belastungen in Relation setzt zum Sanierungseingreifswert von 50mg/kg Sprengstoff anstatt zuzugeben, dass Erde lediglich mit einem Anteil von 0,02 mg/kg Sprengstoff schadlos wieder eingebaut werden darf. Dieser Wert war in allen Proben deutlich überschrittten worden - um das 15 bis 750fache ...