Woche 2: Mangelhafte Vorbereitung

Vor dem Bau der Autobahn wären zum Schutz von Boden und Grundwasser etliche Vorbereitungen notwendig gewesen, die NICHT durchgeführt wurden. Etliche davon sind bereits bekannt, wie z. B. das unzureichende Bodenmanagementkonzept. Es wurde vor dem Bau aber auch NICHT überprüft, ob das Grundwassermonitoringkonzept umgesetzt wurde wie vorgeschrieben. Stattdessen fiel erst Anwohner:innen auf, dass eine der vorgesehenen Messstellen gar nicht eingerichtet worden war oder dass die trocken gefallene Messstelle WAS 4 nach dem Bescheid zum Grundwassermonitoring eigentlich zu ersetzen wäre. Viele weitere Einzelheiten kamen und kommen weiterhin erst durch umfangreiche Recherchen und beharrliches Nachfragen ans Tageslicht. Einige davon werden in der zweiten Woche des Baustopp-Kalenders dargestellt. Ein Teil davon bezieht sich auf die "Freimessung" des Bodens aus dem WASAG-Gelände. Erst in 2024 gab das Regierungspräsidium Gießen in einer Pressemitteilung zu, dass nur "freigemessene" Erde verlagert werden durfte. Dieser Vorgabe wurde vielfach zuwider gehandelt.

8.2.24 Keine "Freimessung" auf einer Strecke von 600 Metern

Boden wird im WASAG- Gelände auf einer Strecke von ca. 1,5 Kilometern abgetragen. Freigemessen wurden davon 700 Meter im September 2021 und 205 Meter im Frühjahr 2022. NICHT freigemessen wurde Boden im WASAG-Gelände demnach auf einer Strecke von  200 Metern nördlich von Baukilometer 58:150 und über 400 Metern südlich von 59:100. Diese ca. 600 Meter machen ca. 40 Prozent des Abtragungsbereiches aus dem WASAG-Gelände aus. Das heißt, dass fast die Hälfte des Bodens NICHT freigemessen wurde. 

9.2.24 Keine Freimessung an den gesprengten SMG-Gebäude 3107 und 3109

Die Trasse ist im Bereich der sanierten Füllgruppe II 2 ca. 70 Meter breit. Am östlichen Rand des Sanierungsbereiches lagen die nach dem Krieg gesprengten, besonders kontaminierten ehemaligen Schmelz-, Misch-, und Gießhäuser 3107 und 3109. Mit der Sprengung waren die Kontaminationen über große Flächen verteilt worden. Das zeigte sich bei den "Nachschnitten" zur Sanierung, mit denen die Baugruben solange ausgekoffert wurden, bis die Sanierungszielwerte erreicht waren. Z. B. wurden im ersten Nachschnitt am südlichen Rand der Baugrube 3107/11 19 mg/kg PAK gemessen, beim zweiten Nachschnitt aber die 8fache Menge (170 mg/kg). Oder im Norden der Baugrube 3107/10 wurden zunächst 0,522 mg/kg Hexyl gemessen, bei einem durch einen erhöhten PAK-Wert notwendigen Nachschnitt waren es aber ca. 40x mehr: 21,4 mg/kg. Trotz dieser Verbreitung der Kontamination waren die Randbereiche der Trasse nicht Bestandteil der Freimessung. Denn diese erfolgte nur auf einer Breite von 55. Metern.

10.2.24 Keine Freimessung an den gesprengten Hexa-Packhäuser 3084 und 3085

Knapp nördlich der Artilleriestraße lagen zu Kriegszeiten die erheblich kontaminierten Hexa-Packhäuser 3084 und 3085. Durch Sprengungen wurden auch hier die Kontaminationen weit verteilt - das bestätigt die Schrift "Kontaminationsverarbeitung in der Bundeswehr auf S. 56. Dort heißt es: „STV können überall dort auftreten, wo Sprengungen erfolgten. Sie kommen dann in Form von Sprengstoffbrocken und von aufgebrochener, nicht umgesetzter Munition vor. Neben den eigentlichen Sprengtrichtern sind dabei auch die Auswurf- und Streubereich zu berücksichtigen“. Und das zeigte sich auch bei der Sanierung. So wurden am östlichen Rand der Baugrube 3084/08 zunächst 45 mg/kg PAK gemessen. Nach einer Abgrabung der kontaminierten Erde wurde mehr als die 10fache Menge gemessen! Und obwohl das gesamte Sanierungsareal Gegenstand der ersten Freimessung sein sollte, wurde genau dieser Bereich der Hexa-Packhäuser ausgespart. Hier wurde später das Hexyl gefunden. 

11.2.24 Freimessung durch die Bau-ARGE selber

Während die Freimessung von Boden zwischen Baukilometer 58:150 und 58:850 im September 2021 - wie alle übrigen Nachbeprobungen - durch ein darauf spezialisiertes Analyseinstitut erfolgten, wurde die Freimessung südlich der Artilleriestrasse im Frühjahr 2022 durch die Bau-ARGE selber durchgeführt, also durch diejenigen, die ein Interesse daran haben, nichts zu finden, das Kosten und Zeitverzögerungen verursacht. Hier wurden auch - anders als bei der ersten Freimessung - Proben aus fünf verschiedenen Bohrpunkten zu einer Mischprobe zusammengeführt, sondern lediglich aus einer einzigen Baggerschürfe. Daneben gibt es auch keine unterschriebenen Probenahmeprotokolle.

12.2.24 Unzureichende Bemessungsgrenze

Erde darf nach den Vorgaben nur dann außerhalb des WASAG-Geländes wieder eingebaut werden, wenn sämtliche zehn gemessenen sprengstofftypischen Parameter zusammen den Wert von 0,02 mg/kg TNT-TE nicht überschreiten (TE ist die Abkürzung für Toxiquitätsäquivalent). Unter den Sprengstoff- Bestandteilen gibt es auch solche, die bis zu  150 x giftiger sind als TNT. Von diesen dürfen dann z. B. nur 0,00014 mg/kg im Boden vorhanden sein. Dennoch wurden die einzelnen Parameter bei der Freimessung der Bau-ARGE nicht - wie bei der ersten Freimessung - mit einer Bestimmungsgrenze von 0,005 mg/kg, sondern lediglich mit einer von 0,05 mg/kg bestimmt.  Diese Grenze für die einzelnen Schadstoffe beträgt demnach das zweieinhalbfache der Höhe, die in Summe erlaubt ist. Damit ist die Schadlosigkeit des Materials keinesfalls sichergestellt. (Foto mutmaßliche Tetryl-Bröckchen, gefunden im April 2021 an der Main-Weser-Bahn)

13.2.24 Mangelhafte Sanierung von dokumentierten Altkanälen

Laut dem Planfeststellungsbeschluss S. 62 ist die Untersuchung möglicher Altkanäle im Bereich des WASAG-Geländes durchzuführen mit Bauwerksführung, Kanalspülung, Entsorgung des Spülwassers und Entsorgung der Bauwerksteile). Denn hier wurden bei Voruntersuchungen große Konzentrationen an Giften festgestellt. Dennoch wurden einige der in den Plänen dokumentierten Altkanäle NICHT untersucht. Zum Teil, weil sie zwar im Trassengelände im WASAG-Gelände, aber außerhalb des Bereichs lagen, der für die Sanierung vorgesehen war, wie z. B. unter oder südlich der Artilleriestraße. Bei Recherchen in den Sanierungsunterlagen fanden sich aber auch nicht untersuchte Kanäle im Sanierungsbereich. Was mit ihnen und dem möglicherweise kontaminierten Boden darunter passiert ist, lässt sich leicht erahnen.

14.2.24 Keine rechtzeitige Überprüfung der "Abwehrbrunnen"

Laut der Risikostudie zum Planfeststellungsbeschluss (Unterlage 13.1.2.) sollten aus den Brunnen A 33 (Bild) bis A 50A 13 Brunnen als Abwehrbrunnen fungieren können, um im Falle einer Beeinträchtigung des Grundwassers Wasser abpumpen zu können. Erst im Laufe des Jahres 2021, also nach dem Beginn der Bauarbeiten, wurde überprüft, ob die Brunnen diese Aufgabe überhaupt wahrnehmen können. Dabei wurde festgestellt, dass die Hälfte der Brunnen diese nicht wahrnehmen kann. Für einige wurden Ersatzabwehrbrunnen definiert. Aber die Unterlagen deuten daraufhin, dass drei Abwehrbrunnen ersatzlos gestrichen wurden.