5.6.23

Unverantwortliche Aufhebung des Teilbaustopps trotz illegaler Verlagerung von Giften

Die weitgehende Aufhebung des Teilbaustopps an der A49 zeigt einmal mehr, dass das Regierungspräsidium in Gießen der Bau-ARGE die Missachtung von Bestimmungen durchgehen lässt statt den Wasser- und Bodenschutz umzusetzen.

Denn:

  • Mit den sechs vom Regierungspräsidium verordneten Baggerschürfen wurde nur die Oberfläche zwischen Bauwerk 8 und 9 untersucht. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass die möglichen Schadstoffe dort seit der Verlagerung vor einem Jahr durch Niederschläge bereits AUSGEWASCHEN sind!
  • Die am wahrscheinlichsten belastete Erde befindet sich im UNTEREN UND INNEREN BEREICH der Dammaufschüttung. Denn hier wurde die Erde von der Artilleriestraße (Bauwerk 3) zum Zeitpunkt des Hexylfundes eingebracht. (Bild rechts) . Eine Beprobung an der Oberfläche beweist also keinesfalls, dass von der Dammaufschüttung keine Gefahr für das Grundwasser ausgeht. 
  • Die sechs durchgeführten Proben waren zu wenig. Denn das Einbringen von Erde in der Wasserschutzzone II verlangt eine Probe auf 500 m3 Erde (das entspricht ca. 50 (!) LKW-Ladungen!). Daher sind für die im April und Mai 2022 eingebrachten fast 12.000 m3 Erde  NICHT 6, SONDERN 24 Proben notwendig!

Die Argumentation des Regierungspräsidiums offenbart dabei gravierende Lücken.

Denn:

  • Es ist NICHT zutreffend, dass die Erde in der Dammaufschüttung nicht direkt aus dem Bereich der unbeprobten und unsanierten Artilleriestraße stammt (Antwort zu Frage 2 einer Kleinen Anfrage im hessischen Landtag). IM GEGENTEIL: Es ist dokumentiert, dass die am 11.5.22 verlagerte Erde GENAU von der Artilleriestraße stammt. (Bild: genau hinter dem Laster ist die abgeschnittene Artilleriestraße zu sehen).  Und an diesem Tage wurde Erde AUSSCHLIEßLICH in die Dammaufschüttung  mit dem PAK-Fund verlagert (vgl. den Auszug aus der Fuhrscheinliste oben) - das Beweisfoto und die Fuhrscheinlisten liegen dem Regierungspräsidium vor!
  •  Es ist NICHT zutreffend, dass sämtliche Altlasten im WASAG-Gelände saniert wurden. Saniert wurden vielmehr lediglich die bekannten Gebäude nur ca. 10 (!) Prozent der Trassenfläche im WASAG-Gelände  und Kontaminationsflächen – ca. 10 (!) Prozent der Trassenfläche (und keine Fläche südlich der Artilleriestraße,  schräg unterhalb der gelben Hexapackhäuser im Bild). Die übrigen Flächen wurden weder genauer untersucht noch saniert. Dabei ist in den Unterlagen vermerkt, dass sich die Zweifel an der Genauigkeit des verwendeten Altgebäudeplans teilweise bestätigt haben und dass die bisherigen Untersuchungen zeigen „dass der Nachweis relevanter Schadstoffkonzentrationen deutlich mit steigender Untersuchungsdichte zunimmt,“[i] also mit steigender Anzahl von Bodenproben.  (Selbst) im Bodenmanagementkonzept der Bau-ARGE ist dokumentiert ist, dass  vor Ort noch „abfalltechnisch relevante Schadstoffbelastungen in den Bereichen des WASAG-Geländes verblieben (sind), ebenso wie Auffüllungen mit Fremdbestandteilen." 
  • Es ist NICHT zutreffend, dass die Erde vor der Verlagerung repräsentativ beprobt wurde. Denn sie stammt laut den Fuhrscheinlisten aus dem Bereich der Artilleriestraße (die in der Bildmitte von Bild rechts schräg querende Straße). Dort war nicht nur die Straße selber – mitsamt dem aller Erfahrung nach kontaminierten Boden darunter[ii] - , sondern auch der besonders belastete Bereich der nahegelegenen Hexa-Packhäusern (die kleinen Vierecke darüber) von der Beprobung AUSGENOMMEN.[Punkt 2 des links] Das heißt: Genau diese Erde wurde NICHT beprobt, hätte aber spätestens im Rahmen des Hexylfundes im letzten Mai nachbeprobt werden müssen. 
  •   Besonders brisant ist, dass genau in diesem Bereich RESTBELASTUNGEN dokumentiert sind, die vor Ort verbleiben durften, weil sie unterhalb des sog. „Sanierungseingreifswertes“ liegen. Mit Werten von bis zu 22,5 mg/kg und PAK-Werte von bis zu 15 mg/kg (Bild 4) hätte diese Erde aber keinesfalls verlagert werden dürfen: die zulässigen Grenzwerte für eine Verlagerung wurden um das über 1000fache überschritten!

Das ist zudem nicht die einzige illegale Verlagerung von belasteter Erde. Denn:

  • Es ist auch NICHT zutreffend, dass bei der „repräsentativen Beprobung“ nördlich der Hexa-Packhäuser keine Kontaminationen festgestellt wurden: Für zwei Bereiche wurde gutachterlich festgestellt, dass die Erde wegen zu hoher PAK-Werte nicht in der Trasse weiterverwendet werden darf. Darüber setzte sich die Bau-ARGE hinweg und verlagerte die Erde dennoch. Und das Regierungspräsidium sah – anders als der Verfasser des Gutachtens zur Beprobung – kein Problem darin. 

Damit nicht genug:

  • Am 26. Mai 2023 wurden dem Regierungspräsidium Gießen WEITERE Analyseprotokolle von PAK-FUNDEN übermittelt – diesmal aus dem Bereich der WASAG. Die Werte betrugen bis zu 27.260 mg/kg PAK. Und am 30. Mai wurden Videos von weiteren Funden übermittelt. Eine Antwort hat es darauf bisher nicht gegeben. 

Katharina Lipinski von den Parents for Future resümiert: „Das alles zeigt, dass die Behörde NICHT sicherstellen kann, dass keine kontaminierte Erde verlagert wurde. Und jetzt, wo in einem sensiblen Bereich der Trinkwassergewinnung Gifte gefunden wurden, versucht sie, mit dem Hinweis auf eine wasserundurchlässige Folie zu beschwichtigen (die allerdings unterhalb der Böschung gar nicht eingebaut wird!) Dabei wurde die Vorgabe, dass nur SCHADSTOFFFREIE Erde in der Trasse wieder eingebaut werden darf, im nahegelegenen Trassenbereich am Geyersberg vorschriftsmäßig umgesetzt. Dort wurde die Erde VOR dem Einbau beprobt -  und dass, obwohl dort keine potentiell kontaminierte Erde aus dem WASAG-Gelände, sondern unverdächtige Erde aus einem anderen Bauabschnitt eingebaut wurde. Im Gegensatz dazu unternimmt das Regierungspräsidium nichts gegen die Verlagerung der vielen dokumentierten Restbelastungen  - auch außerhalb der Hexa-Packhäuser – und verweist stattdessen auf die „repräsentativen“ Messungen -  als ob diese die Restkontaminationen  einfach verschwinden lassen könnten"

 

Dass das Regierungspräsidium diese Verlagerungen sowie die Verlagerung von unzureichend beprobter bzw. gänzlich unbeprobter Erde aus dem Altlastengelände der WASAG deckt, dass sie keine Sorge dafür trug, dass die Dammaufschüttung im Rahmen des Hexylfundes beprobt wurde und auch jetzt lediglich sechs oberflächliche Schürfen für hinreichend erachtet, ist ein Skandal. Dabei machen es die vielen gravierenden Verstöße gegen die Bestimmungen des Bodenschutzes mehr als wahrscheinlich, dass sich die Wasserqualität in etlichen Bereichen der Trasse signifikant verschlechtert hat. Das Regierungspräsidium schreibt, es seien keine festgestellt worden – aus dem einfachen Grund, dass PAK gar nicht beprobt und Wasser außerhalb des WASAG-Geländes nicht auf Sprengstoffe kontrolliert wird. Wonach nicht gesucht wird, das kann auch nicht gefunden werden!

 

Daher ist es unbedingt erforderlich,

  1. die Dammaufschüttungen ORDNUNGSGEMÄß zu beproben,
  2. den weiteren PAK-Funden UMGEHEND nachzugehen und
  3. das Grundwassermonitoring VORSCHRIFTSMÄßIG durchzuführen.

Alles andere ist Rechtsbruch.

[i] Erläuterungsbericht Bodenuntersuchungen vom 31.3.2008, S. 186 und S. 228 

[iI] Belastungen unter Wegen und Straßen sind bereits in der Anlage 13.1.1 zum Planfeststellungsbeschluss (Erläuterungsbericht Bodenuntersuchungen vom 31.3.2008) dokumentiert.