Skandalöse Trinkwassergefährdung

Mit der Aufhebung des Teil-Baustopps an der A49 geht die Trinkwassergefährdung durch die Verlagerung von Boden mit sprengstofftypischen Kontaminationen in Mittelhessen in eine neue Runde.  Denn diese Aufhebung bedeutet, dass das Regierungspräsidium Gießen trotz mehrfacher Hinweise auf in der Nähe des bisherigen Baustopps an der Artilleriestraße befindliche Restbelastungen von bis zu 22 mg/ kg Hexyl [1] nichts unternimmt, um die Bauarbeiter vor dem Einatmen der hochgiftigen Stäube zu schützen und eine weitere Verlagerung des wassergefährdenden Stoffes in andere in Wasserschutzgebieten befindliche Bereiche der Trasse zu verhindern. Diese Hexylbelastungen liegen zwar unterhalb des sogenannten „Eingreifswertes“ von Sanierungen[2], sie liegen aber deutlich oberhalb der 5 mg/kg, die nach den Vorgaben des Regierungspräsidiums Gießen selbst innerhalb des Altlasten-Geländes der WASAG wieder eingebaut werden dürfen. [3]

 

Im Endbericht zur Sanierung sind weitere Hexylbelastungen auch für andere Bereiche der Trasse dokumentiert. Diese wurden (in Teilen) bereits ausgegraben und an andere Stellen verlagert, ohne dass Material zur Entsorgung in Haufwerken separiert worden wäre. Elisa David von den Parents for Future kommentiert: „Die Strategie der Bauverantwortlichen ist perfide: das vergiftete Material wird ohne Beprobung ausgegraben und großflächig an anderen Stellen verteilt. Damit muss es nicht für teures Geld entsorgt werden. Und wurden die Giftstoffe erst einmal andernorts großflächig verteilt, dann lassen sie sich ungefähr so gut wiederfinden wie eine Nadel in einem Heuhaufen. Damit ist auch kaum nachweisbar, dass dem Verbot, wassergefährdende Stoffe innerhalb der Wasserschutzzone abzulagern, zuwider gehandelt wurde. Obschon die Beweise ja eigentlich in den Plänen im Regierungspräsidium vorliegen.“

 

Es hat den Anschein, als ob das Regierungspräsidium diese gravierende Gefährdung des Trinkwassers für 500.000 Menschen duldet und verharmlost: Irritierenderweise wurden [3]  Falsch ist dabei Aussage des Regierungspräsidiums, dass die nachgewiesenen Werte unterhalb des „Zielwertes von 50 mg/kg liegen: sie liegen zwar unterhalb des „Eingreifwertes“, aber deutlich über dem Wert, dessen Wiederverwendung zulässig ist!  (In der oben erwähnten privaten Beprobung lag der Hexyl-Wert übrigens einmal bei 1408 mg/kg und einmal bei 6343 mg/kg![4])  

 

Bilder zeigen außerdem, dass der Hexylhaufen, der Anlass des Baustopps war, vor der Abdeckung mit Plastikfolien größer war. Damit muss mutmaßlich kontaminierter Boden vor der Abdeckung an andere Stellen verlagert worden sein.  Das wurde bisher abgestritten. Zugegeben wurde aber die Verlagerung von großen Massen von Boden aus der vom Baustopp betroffenen Baugrube in die Wasserschutzzone II, für die eigentlich besondere Schutzmaßnahmen gelten. Trotzdem schreibt das Regierungspräsidium in seiner neuesten Pressemitteilung, es läge keine Gefährdung des Grundwassers vor - es seien in den Analysen keine Kontaminationen gefunden worden. Elisa David von den Parents for Future kommentiert: „Das wäre ja so, als wenn hundert Stecknadeln, die über 12.000 qm verteilt wurden, allein deshalb nicht vorhanden sind, weil in ein paar Rasteruntersuchungen keine gefunden wurden!“  

 

 

Auf die Frage nach den Entsorgungsprotokollen von kontaminiertem Boden antwortete das Regierungspräsidium im Juni, diese lägen nicht vor, da kein Boden hätte entsorgt werden müssen. Bei Proben im Bereich eines von Anwoh-ner:innen gemeldeten unkartierten Gebäudes  wurden allerdings im Oktober 2021 PAK- Werte von bis zu 9 mg/kg festgestellt. Umgelagerter Boden darf aber nicht mehr als 3 mg/ kg des giftigen PAK enthalten, ohne entsorgt werden zu müssen[3].  Es ist mehr als unverständlich, warum das Regierungspräsidium beim Ausbau der A49 nicht auf die Einhaltung seiner Vorgaben besteht.[5]

 

 

Es drängt sich der Eindruck auf, dass auch die übergeordneten Behörden das illegale Treiben der Bauausführenden tolerieren: Hinweisen auf Verstöße gegen die Nebenbestimmungen zum Planfeststellungsbeschluss  (wie fehlende Beprobungen von zu sanierenden Altkanälen) wurde bisher weder von der Planfeststellungsbehörde noch vom Fernstraßenbundesamt  nachgegangen - mit dem Argument, dass das Regierungspräsidium keine Verstöße habe feststellen können.

 

Auch die Polizei bzw. die Staatsanwaltschaft Marburg argumentiert wenig nachvollziehbar: Von ihnen wurde abgelehnt, Ermittlungen zu den Arbeiten an der ca. 100 Meter von der Trasse entfernten ehemaligen Kläranlage des Sprengstoffgeländes[6] aufzunehmen, weil bei „Erdaushub aus dem Trassenbereich(!) , der der Markierung ‚Kläranlage‘ am nächsten kommt … keinerlei Auffälligkeit“  festgestellt worden wäre. Elisa David fragt: „Ob die Polizei Ermittlungen zu einem gemeldeten Einbruch in ein Schmuckgeschäft wohl auch ablehnen würde mit der Argumentation, im 100 Meter entfernten Getränkemarkt seien keine Einbruchsspuren festgestellt worden?“  

 

 

Es ist zu hoffen, dass sich die Verantwortlichen eines Besseren besinnen und den Wasser- und Bodenschutz umsetzen wie gesetzlich vorgeschrieben.

 

 

 

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[1] Diese Restbelastungen sind in der Anlage 1 zum Endbericht zur Sanierung vom 25.2.21 dokumentiert, die auf Antrag im Regierungspräsidium einsehbar sind. 

[2] Dokumentiert im Sanierungsplan zum WASAG-Gelände vom 1.11.2017, S. 21 

[3] Vgl. die Grenzwerte des RP Gießen, dokumentiert im Analysebericht Nr. 013221-02 vom 28.10.21, S. 2 

[4] Messwerte eines zertifizierten Analyseinstituts von zwei Bodenproben aus dem kontaminierten Haufwerk im Auftrag von Anwohner:innen. 

[5] Das Regierungspräsidium behauptet, die Erde dürfe innerhalb des WASAG-Geländes noch weiter verwendet werden. Das widerspricht aber den Vorgaben

[6] Die Planfeststellungsbehörde behauptet hier, diese Arbeiten hätten nicht planfestgestellt werden müssen, weil sie im Auftrag der Bundeswehr erfolgt seien, während die Bundeswehr wiederum schreibt, die Verantwortung läge bei der Bau-ARGE. Fakt ist, dass die Bundeswehr ihr Gelände gerade an die Bau-ARGE vermietet hat, dass die verlegten Leitungen unter der Trasse hindurchführen und dass schwer vorstellbar ist, dass die Bundeswehr eine rund um die Uhr-Bewachung von Kanalarbeiten finanziert, wie sie über Monate vor Ort war. Über den Grund dieser beim Ausbau der A49 einmaligen Überwachung lässt sich nur spekulieren.