1.5.23

Verlagerung von Gift auf die Trasse der A49 bestätigt

Anzeige gestellt

 

Schon lange warnen die Parents for Future und andere Umweltschützer:innen vor der Gefahr durch den Bau der A49 durch das Rüstungsaltlastengelände der WASAG in Stadtallendorf (1) und vor der Verlagerung von giftigem Material im Rahmen der metertiefen Tieferlegung der Trasse. Nun offenbart sich einmal mehr, wie begründet diese Warnung war und ist: In drei Proben wurden hohe Konzentrationen an krebserregenden, erbgutschädigenden polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK) in der Wasserschutzzone II nachgewiesen. 

Der Bereich der Funde zwischen Bauwerk 8 und 9 (siehe Foto) hätte dabei laut den Vorgaben im letzten Sommer von der Bau-ARGE beprobt werden müssen. Denn die Erde stammt aus dem Bereich der Artilleriestraße im WASAG-Gelände, wo am 8. Mai 2022 von Anwohner:innen der giftige Sprengstoff Hexyl gefunden wurde. Bevor aus diesem Grund am 12. Mai ein Teilbaustopp erteilt wurde, waren aus der mit Hexyl kontaminierten Baugrube über 12.000 m3 Erde (2) in die Wasserschutzzone II bei Niederklein verlagert worden. Im Rahmen des Baustopps war diese Erde zu beproben, um sicherzustellen, dass sie kein Gift enthält.  Fuhrscheinlisten offenbaren, dass dies nur zu einem kleinen Teil umgesetzt wurde: Über 11.000 m3 – also ca. 90 % des verlagerten Materials – wurden NICHT beprobt. (3) Von diesem Skandal weiß der  hessische Landtag seit Ende März ohne erkennbare Konsequenzen. „Es scheint, als ob sich keiner traut, den Ausbau der Autobahn aufzuhalten,“ interpretiert  Katharina Lipinski von den Parents for Future.

 

 

Anwohner:innen stellten in diesem Zusammenhang fest, dass die Nordseite dieser unbeprobten Dammaufschüttung  mit unzähligen stinkendenden schwarzen Brocken durchsetzt ist. (4) Diese hätten auch ohne Hexylfund nicht verlagert werden dürfen. Denn laut dem Bodenmanagementkonzept der Bau-ARGE ÖPP A49 muss auffälliges bzw. potentiell abfallrechtlich relevantes Material aus dem WASAG-Gelände vor der Verlagerung separiert und beprobt werden. (5) Und während PAK nur bis zu einem Gehalt von 3mg/kg wieder eingebaut werden darf, (6) wurden in drei privaten Proben PAK- Gehalte von bis zu 31.000 mg/kg gemessen. Das entspricht einer bis zu 10.333fachen Überschreitung des Grenzwertes.

 

Skandalös sind außerdem die Missstände bei der durchgeführten Nachbeprobung von Erde zwischen Bauwerk 9 und 10. Laut dem Ergebnisbericht umfasst das Material aus der Artilleriestraße 12.000 m3, laut den Fuhrscheinlisten wurden hier aber lediglich 1.490 m3 Erde aus dieser Baugrube eingebracht. Das erklärt, dass in etlichen Proben Erde von der Artilleriestraße fast kaum zu finden war (7): Fast die Hälfte der Proben (in 14 Quadranten von 34 Quadranten) enthielt überwiegend (bis fast ausschließlich) Material von außerhalb des WASAG-Geländes. Dieses wurde laut den Fuhrscheinlisten bis zum 6. Mai eingebracht, die Erde aus der Artilleriestraße dagegen erst am 9. und 10. Mai, in den zwei Tagen vor dem Baustopp. Damit hätte die potentiell kontaminierte Erde ausschließlich an der Oberfläche der Dammaufschüttung liegen müssen (8) . Laut dem Endbericht wurde sie aber in unterschiedlichen Tiefen angetroffen. Katharina Lipinski stellt fest: „Das lässt sich nur mit einer Missachtung des Baustopps erklären. Nicht nachvollziehbar ist daher, dass das Regierungspräsidium dem nicht nachgeht, sondern lediglich schreibt, ihm sei eine Missachtung des Baustopps nicht bekannt. Das erweckt den Eindruck, dass sie dem nicht nachgehen wollen. Oder dürfen sie die Bau-ARGE nicht zur Rechenschaft ziehen? “(9)

 

In Anbetracht der Gefahren für Mensch und Umwelt, die von der mangelhaften Nachbeprobung und von dem giftigen PAK ausgehen, wurde beim Innenministerium und beim hessischen Landeskriminalamt eine Anzeige nach dem Gesetz für Sicherheit und Ordnung erstattet.

Es ist zu hoffen, dass die Behörden dem Druck auf eine schnelle Fertigstellung der Autobahn nicht länger nachgeben, sondern ihrer Pflicht nachkommen, den Wasserschutz im Einzugsgebiet von wichtigen Trinkwassergewinnungsanlagen sicherzustellen.  

 

Anmerkungen

1) Weitere Recherchen bestätigten, dass die Kritikpunkte gerechtfertigt sind. 

·       Z. B. war das für die Hexylherstellung notwendige Dinitrodiphenylamin nicht Bestandteil der Beprobungen – noch nicht einmal in den Lagern für Dinitrodiphenylamin. Diese Lager wurden nicht saniert, weil andere Sprengstoffe nicht nachgewiesen wurden. Erst im August 2022 ordnete das Regierungspräsidium eine Nachbeprobung der Lager für Dinitrodiphenylamin auf Dinitrodiphenylamin an. Das Ergebnis liegt bis heute nicht vor.

·         Dass Wurzelstöcke geschreddert und verteilt wurden, verteidigt das Regierungspräsidium bis heute, damit, dass diese nur aus den nicht sanierten Bereichen stammen. Dabei waren während der Sanierung Belastungen von Wurzelstöcken auch im sogenannten „Weißbereich“ - also dem mutmaßlich nicht sanierungsbedürftigen Bereich - festgestellt worden, so dass bis Dezember 2019 statt der veranschlagten 15 Tonnen ca. 600 Tonnen an Wurzelstubben entsorgt wurden. Die Wurzelstubben der erst in 2020 gerodeten Bäume wurden nicht entsorgt. Ferrero dagegen muss im Rahmen seiner Betriebsgeländeerweiterung sämtliche Wurzelstubben entsorgen.

·         Von den Sprengstoffen wird besonders Hexogen in den Wurzeln gespeichert. Und die Werte für Hexogen stiegen in einer Messstelle im WASAG-Gelände signikant an und liegen seit Dezember 2021 um das bis zu 60fache des Geringfügigkeitsschwellenwertes. Die Messung von Dezember 2022 liegt dem Regierungspräsidium eigenen Angaben nach bis heute nicht vor …

2) Nach vorsichtigen Schätzungen kann ein Kubikmeter mit einer Tonne Erde gleichgesetzt werden (https://www.baustoffe-liefern.de/Rechner/Erde-Mutterboden.html ), wahrscheinlicher ist, dass ein Kubikmeter Erde aus dem WASAG-Gelände ca. zwei Tonnen wiegt ( https://www.boetel-bs.de/Umrechnungstabelle )

3) Vgl. die Pressemitteilung vom 30.3.23 Das Regierungspräsidium argumentiert, die hier verlagerte Erde stamme aus Bereichen südlich der Artilleriestraße, die bereits freigemessen worden sei. Allerdings zeigt dieses Foto vom 11. Mai, dass das an diesem Tag verlagerte Material eindeutig von der Artilleriestraße stammt (im Hintergrund zu sehen). Es wurde in den unbeprobten Teil der Dammaufschüttung verlagert. 

4)  Auch an der Artilleriestraße wurde im Mai 2022 mutmaßlich solches PAK gefunden. Am 23.5.22 wurde das RP aufgefordert, einen geschreddertern Steinhaufen mit Fremdmaterialien an der Artilleriestraße abzudichten. Obwohl bis dahin bei 15.000 m3 Betonaufbruch der Straße bereits eine Überschreitung des Grenzwertes für schadloses Material (Zuordnungsklasse Z0) festgestellt worden war, wurde der Haufen – anders als die Haufen bei der Sanierung der ehemaligen Mülldeponie am Geyersberg – nicht abgedichtet. Im Juli 2022 wurde das Material ungeachtet der Gefahren und der Vorgabe, im Trassenbereich nur Material der Klasse Z0 einzubauen, weiter geschreddert. 

5) Bodenmanagementkonzept der Bau-ARGE ÖPP A49 vom 20.4.21, S. 8. Dabei ist naheliegend, dass der vorgesehene einzelne externe Gutachter überfordert ist, täglich bis zu 242 LKW-Ladungen an Erde zu kontrollieren, vgl.  https://www.danni-lebt.de/un-recht/planfeststellung/bodenmanagementkonzept/

6) Siehe Ergebnisbericht zur Freimessung der Baugrube an der Artilleriestraße und des ausgebauten Materials vom 2.8.22, S. 22. Boden mit mehr als 20 mg/kg ist nach S. 20 des Dokuments sogar sanierungsbedürftig. 

7) Laut dem Ergebnisbericht lag im beprobten Bereich nicht allein Material aus der Artilleriestraße, sondern weiteres Material aus dem Bauabschnitt III der VKE 30 nördlich des WASAG-Geländes. Die ersten 8 Quadranten waren Teil der Nachuntersuchung, obwohl hier fast ausschließlich das unproblematische Material  von der VKE 30 beprobt wurde (Ergebnisbericht S.12). Für die Quadranten 9 bis 14 ist auf S. 14 des Berichts dokumentiert, dass ein großer Teil des Mater 

ials nicht aus der belasteten Baugrube stammt. Das bedeutet, dass – anders als von Regierungspräsidiumssprecher Thorsten Haas in der Oberhessischen Presse dargestellt - die  „Trennbarkeit (des eingebauten Materials) von anderen Materialien“ NICHT gewährleistet war.

8) In diesen Tagen vor dem Baustopp wurde kein anderes Material von anderen Bereichen dort eingebracht.

9) So in: https://www.op-marburg.de/lokales/marburg-biedenkopf/stadtallendorf/stadtallendorf-behoerde-weist-taeuschungs-vorwurf-zum-a-49-bau-zurueck-6QXQWZXT6ZHBHJ2VCPCXQX3EFA.html   Dass dem Regierungspräsidium keine Missachtung des Baustopps „bekannt“ ist, ist naheliegend. Denn in der Presseerklärung fand der Baustopp in der Dammaufschüttung keine Erwähnung: Erst im Juli wurden Anwohner:innen auf Nachfrage über die Baukilometer des Teilbaustopps in der Dammaufschüttung informiert. Zu diesem Zeitpunkt war die Verlagerung von Erde in die Dammaufschüttung bereits abgeschlossen.