Missachtungen des Bodenschutzes                    (7.2.23)

In der zweiten Woche des Skandalkalenders, in dem seit dem 1. Februar täglich Skandale zum Thema Naturschutz, Wasserschutz und Bodenschutz beim Ausbau der A49 veröffentlicht werden, steht der Umgang mit den Altlasten des WASAG-Geländes im Fokus. Die Verantwortlichen des Ausbaus verweisen bei Nachfragen gerne darauf, dass der Trassenbereich des hochkontaminierten Geländes saniert wurde. Weniger bekannt ist dabei, dass für den Bau der A49 lediglich die bekannten im Trassenbereich liegenden "Kontaminationsverdachtsflächen" saniert wurden, die fast ausschließlich im Bereich bekannter Gebäude lagen.[1] Es zeigten sich dabei deutlich größere Kontaminationen als vorher angenommen, so dass die Sanierung im August 2020 mit mindestens fünfmonatiger Verspätung beendet wurde.[2] Außerhalb dieser Verdachtsflächen wurde im Rahmen der Sanierung keine Erde beprobt,[3] auch nicht im Bereich der von Anwohner:innen im April 2021 entdeckten Grundmauern eines unbekannten Gebäudes.[4] Damit blieben sämtliche durch die Sprengungen nach dem Krieg verursachten kleinen „Hotspots“ an Kontaminationen unentdeckt.

 

1) Keine Beprobung verlagerter Erde

Für den Ausbau der Autobahn werden im WASAG-Gelände fast 500.000 m3 Boden abgetragen. das entspricht einem 100 Meter langen Schwimmbecken, das 20 Meter breit ist und 250 Meter tief ausgegraben wird!  Laut dem Planfeststellungsbeschluss soll dieser Abtrag in dem (minimalistischen) Umfang von einer Probe pro 5.000 m3  „entsorgter“ Erde beprobt werden, also (laut Fuhrscheinliste)einer Probe auf ca. 500 LKWs bzw. einer Probe pro zweieinhalb Meter des oben beschriebenen Schwimmbeckens! Aber diese Beprobung wurde nicht durchgeführt.[5] Das ist insofern problematisch, da durch die Erdarbeiten Schadstoffe in Bewegung gebracht werden können, die dann durch Regen ins Grundwasser gelangen. Abseits des WASAG-Geländes wird das Grundwasser aber nicht auf sprengstofftypische Verbindungen beprobt, so dass die Verlagerung von Giften nicht aufgespürt werden kann.

 

2) Unzureichendes Bodenmanagementkonzept entgegen den Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses

Aufgrund der großen Gefahren für das Grundwasser muss zu entsorgender Bodenaushub laut Planfeststellungsbeschluss zwischengelagert, unverzüglich deklariert und zeitnah abtransportiert werden. [6] Das Bodenmanagementkonzept der Bau-ARGE sieht für den potentiell vergifteten Boden des WASAG-Geländes aber nichts dergleichen vor und es erlaubt, dass  „unauffälliger“[7] Boden wieder eingebaut wird. Das ist unverantwortlich, denn in dem Konzept ist dokumentiert, dass trotz der „erfolgreichen Sanierung“ im WASAG-Gelände noch "abfalltechnisch relevante Schadstoffbelastungen" vor Ort vorhanden sind. Und diese giftigen Sprengstoffverbindungen sind erst bei sehr hohen Konzentrationen sichtbar: Boden darf nur mit einem Gehalt von bis zu 0.02 mg/kg Sprengstoff außerhalb des WASAG-Geländes wieder eingebaut werden, die Hexylklumpen an der Artilleriestraße enthielten aber 1.800 und 4.200 mg/kg, also die 90.000fache und 210.000fache Menge. Das zeigt überdeutlich, dass mit den Augen nicht erkennbar ist, ob Boden zu sanieren ist oder nicht. Und das macht es mehr als wahrscheinlich, dass belastete Erde in die Wasserschutzzone II verlagert wurde. Auch von dem im Planfeststellungsbeschluss geforderten zeitnahen Abtransport kann keine Rede sein:  die Haufen mit Hexyl lagen fast fünf Monate auf der Trasse, ohne dass der Boden unterhalb des Haufens abgedichtet gewesen wäre. Und da die Abdeckung immer wieder löchrig war, konnte Regen die dokumentierten Schadstoffe in den Untergrund schwemmen. (Vgl. Foto vom 21.5.22)

3) Verlagerung belasteter Erde in die Wasserschutzzone

 

Erde darf nach den Vorgaben des Regierungspräsidiums Gießen nur dann in einer Wasserschutzzone eingebaut werden, wenn die Werte für das hochgiftige PAK 3 mg/kg nicht überschreiten. In etlichen sanierten Baugruben sind deutlich höhere "Restkontaminationen" dokumentiert[8] und auch bei Nachbeprobungen wurden Werte von über 3 mg/kg PAK gemessen.[9] Doch der Boden wurde nicht entsorgt, sondern in der Wasserschutzzone wieder eingebaut.

4) Lückenhafte Fuhrscheinprotokolle

 

Am 11.7.21 wurden Verlagerungen von Erde aus dem WASAG-Gelände mit Videoaufnahmen dokumentiert, die Fuhrscheinliste der Bau-ARGE beginnt allerdings erst am 19.7.21. In dieser findet sich seltsamerweise auch kein Hinweis, woher die Erde stammt, die bei Dannenrod viele Meter hoch eingebaut wurde (siehe Foto vom 12.6.22). Damit ist nicht überprüfbar, ob die Erde nicht aus dem WASAG-Gelände kommt, wie den Anwohner:innen versichert wurde! (Hier gilt übrigens eine sehr viel strengere Wasserschutzverordnung als in Stadtallendorf!)

 

5) Lückenhafte Beprobung

 

Auf dem Trassengelände befanden sich zu Kriegszeiten zwei Lager für das giftige zur Hexylherstellung notwendige Dinitrodiphenylamin. Allerdings wurden diese Lager gar nicht auf diesen Stoff beprobt. Und weil andere Stoffe - wenig überraschend - nicht nachgewiesen wurden, wurden die Lager nicht saniert. (Mit derselben Logik ist ein Drogenabhängiger clean, wenn ein Alkoholtest nicht anschlägt.) Im September 2022 sagte das Regierungspräsidium zwar nach beharrlichem Nachfragen zu, "eine Nachuntersuchung auf Dinitrodiphenylamin .. zu fordern ...",[10] allerdings hat es nicht den Anschein, als ob diese Untersuchung in der Zwischenzeit stattgefunden hat.

 

6) Trotz Kontaminationsverdacht keine Untersuchungen an der Artilleriestraße 

Im Mai 2022 wurde wegen des Fundes von Hexyl ein Teilbaustopp verhängt. Laut Aussagen der Verantwortlichen stammt das Gift aus der Erde unterhalb der aufgerissenen Artilleriestraße in Stadtallendorf. Dazu gibt Hit Radio FFH  Regierungssprecher Thorsten Haas wie folgt wieder: „… Der Bereich der Artilleriestraße … sei dabei bewusst ausgenommen worden. Man habe die Straße sonst wie einen Schweizer Käse durchlöchern müssen.“ Keine Erklärung wird dazu abgegeben, warum mit dem Aufriss der Straße die Untersuchungen nicht nachgeholt wurden, obwohl er ja „bewusst ausgenommen“ worden war, gehört doch dieses Gebiet in einem Gutachten [11] ausdrücklich zu einer Fläche mit Untersuchungsbedarf!

 

7) Entgegen dem Bodenschutzrecht keine Meldung von belasteter Erde 

Im Bodenmanagementkonzept der Bau-ARGE heißt es, dass bei einem Verdacht auf Altlasten die Bautätigkeit an dieser Stelle eingestellt und die Obere Bodenschutzbehörde beim Regierungspräsidium Gießen informiert wird. Die Bau-ARGE meldete den Hexylfund aber nicht, obwohl die Abdeckung des Haufens zeigte, dass sich die Bauausführenden der Kontaminationsgefahr bewusst waren. Die intensiven roten Verfärbungen machten dabei selbst Laien auf hohe Schadstoffkonzentrationen aufmerksam. Vor der Abdeckung war übrigens ein Teil des Haufens verlagert worden – ausgerechnet der, in dem später die hohen Kontaminationswerte gemessen wurde. Dies erklärt, warum nicht bekannt gemacht wurde, dass der verhängte Teil-Baustopp nicht nur für die Fundstelle galt, sondern gleichfalls für einen Bereich in der Wasserschutzzone II, in den die Erde ohne vorherige Beprobung verlagert worden war.

 

Es ist zu wünschen, dass sich viele Medienvertreter trauen, diese heiklen Missstände in die Öffentlichkeit zu tragen und mit ihren Recherchen - wie von RTL 1989– weitere prekäre Einzelheiten ans Tageslicht zu bringen. Denn öffentlicher Druck würde helfen, die Verantwortlichen zu bewegen, die Mängel der Sanierung aufzuarbeiten und damit einen Teil des Unheils abzumildern, das der Bau der A49 durch das wichtigste Wasserschutzgebiet Mittelhessens für die  Trinkwasserversorgung mit sich bringt. Es ist dringend notwendig, dass der Wasserschutz Vorrang hat vor einem möglichst schnellen Ausbau der Autobahn.

 

 

[1] Neben den bekannten Gebäuden wurden noch ein Panzerfaustschieß- und Sprengplatz sowie ein Feuerlöschteich saniert. Das heißt, selbst innerhalb des Sanierungsgebiets, das weniger als die Hälfte des Trassengeländes im WASAG-Gebiet umfasst wurde nur ein kleiner Teil der Fläche saniert.

[2] Die umfangreiche Verspätung gründet u. a. darauf, dass an den Rändern der sanierten Baugruben immer wieder Grenzwertüberschreitungen gemessen wurden, die weitere „Nachschnitte“ und neue Beprobungen notwendig machten.

[3] Mit Ausnahme von zehn Bodenproben für die gesamte ca. 2km lange Strecke in 2006 im Rahmen von Voruntersuchungen. Dabei wurden nur an einer Stelle geringe Belastungen mit sprengstofftypischen Verbindungen nachgewiesen…. Erst im September 2021 wurde nach vielfachen Anfragen von Bürger:innen Boden zwischen der Überführung an der Bundeswehr-straße und der Artilleriestraße beprobt – in Mischproben. D. h. es wurden an unterschiedlichen Stellen Proben genommen und diese wurden vor der Analyse zusammengemischt. Wenn also kontaminierte Erde darunter war, so wurden die Werte durch die Vermischung mit nicht kontaminierter Erde verringert. Boden zwischen der Artilleriestraße und der Main-Weser-Bahn wurde erst im März 2022 beprobt. Da war ein großer Teil des Bodens (und damit auch des potentiell höher belasteten Bodens an der Oberfläche) bereits verlagert worden. Die Ergebnisse konnten noch nicht eingesehen werden.

[4] Das Regierungspräsidium wurde umgehend mündlich und schriftlich auf die Grundmauern aufmerksam gemacht. Und obwohl angeboten worden war, sie zu zeigen, wurden sie erst im September gesucht, wie diesem Berichtsantrag (S. 25) zu entnehmen ist. Bis dahin waren die Arbeiten schon so weit fort-geschritten, dass selbstverständlich keine Mauern mehr zu finden waren. Die in der Frage angesprochene Beprobung umfasste dabei nicht – wie zunächst angenommen - allein den Gebäudebereich, sondern einen 700 Meter langen Bereich des Geländes, in dem die in Anmerkung 3 erwähnten Mischproben erstellt wurden, weil das Material außerhalb des WASAG-Geländes wieder eingebaut werden sollte. (Vorherige Verlagerungen waren nicht beprobt worden!) Für sieben Felder ergab die Auswertung, dass ein Wiedereinbau außerhalb des WASAG-Geländes unzulässig ist und davon für zwei Felder sogar, dass ein Wiedereinbau innerhalb des WASAG-Geländes unzulässig ist. Allerdings wurde die Erde nicht entsorgt, sondern dennoch eingebaut.

[5] Boden gilt dann als entsorgt, wenn er seinen angestammten Platz verlässt. Dementsprechend  heißt es im Planfeststellungsbeschluss zum Thema Projektmanagement bei der Entsorgung der Aushubmassen: zeitnaher Abtransport des Bodens zur Verwertung bzw. Beseitigung. Das bestätigt, dass Boden aus dem WASAG-Gelände auch dann als "entsorgt" gilt, wenn er weiter verwendet wird. (Ein weiterer Beweis ist, dass es in einer Stellungnahme des Regierungspräsidiums in 2007 hieß: "Unbelastete Böden sind nach jeweils 5000 Kubikmeter entsorgter Böden auf Schadstofffreiheit einer stichprobenartigen Kontrolle zu unterziehen".

[6] Planfeststellungsbeschluss S. 62

[7] Damit ist Boden gemeint, der optisch unauffällig ist und nicht auffällig riecht. Südlich der Artilleriestraße hatte es im Trassen-bereich im April 2021 sehr auffällig gerochen, ohne dass dort beprobt wurde: es wurden lediglich Kalksäcke eingebracht.

[8] Der Boden musste nur bis zu einem Wert von 20 mg/kg PAK saniert werden. Daher sind in sämtlichen Sanierungsgruben noch Werte von mehr als 3 mg/kg vorhanden gewesen. Mithilfe der in Anmerkung 3 beschriebenen Mischproben gelang es zu behaupten, die abgetragene Erde in der Trassenfläche überschreite die Grenzwerte nicht … Dabei ist nicht sicher, ob die Kontaminationen der Sanierungsbaugruben überhaupt Bestandteil der Mischproben waren oder ob nicht andere Orte zur Probennahme gewählt wurden ….

[9] In den in Anmerkung 3 beschriebenen Untersuchungen.

[10] So die Aussage am 1.9.22 auf Frage 36 im Kreistag des Landkreises Marburg-Biedenkopf

[11] Preuss , Eitelberg et al. 1991, Erkundung und Rekonstruktion des Sprengstoffwerkes der Westfälisch Anhaltischen Sprengstoff AG, erstellt für das RP Gießen in Vertretung für Umweltministerium Land Hessen