Non cheri – Rodungen nach Drohung

Etliche Bäume zur geplanten Erweiterung des Betriebsgeländes von Ferrero in Stadtallendorf sind bereits gefällt (siehe Foto vom 18.2.23), obwohl der Erörterungstermin für die zahlreichen Einwendungen erst am 14. März stattfindetDie Arbeiten begannen genau an dem Tag, auf den der Genehmigungsbescheid für die vorzeitige Rodung datiert ist. Dass bereits am selben Vormittag sämtliche Bauarbeiter vor Ort waren, um unter „verstärktem Polizeiaufgebot“ mit den Arbeiten zu beginnen[1] macht es wahrscheinlich, dass der Firma Ferrero die Zusage der Genehmigung bereits vorzeitig vorlag. Dabei fand die Anhörung der Antragstellerin erst am 10. Februar statt.[2]  Wie es bis zum 16. Februar möglich war, sowohl die Argumentation von Ferrero zu überprüfen wie auch das 57seitige Genehmigungsschreibens zu verfassen, ist rätselhaft.

 

Das Regierungspräsidium begründet die Genehmigung damit, dass mit einer „Entscheidung zugunsten der Antragstellerin zu rechnen“ ist [3]. Dabei sind die Risiken immens. So heißt es in den entscheidungserheblichen Unterlagen:  „alleine aufgrund des sensiblen Standorts der Maßnahme (Wasserschutzgebiet Zone II, unmittelbare Nähe zu Trinkwassergewinnungsanlagen; Altlastenstandort) (kann) nicht ausgeschlossen werden, dass erhebliche nachteilige Umwelt-auswirkungen durch das Vorhaben hervorgerufen werden.“ [4]  U. a. soll für das Projekt die potentiell hochkontaminierte Erde um drei Meter abgetragen werden. Damit können giftige Schadstoffe in Bewegung gebracht und reaktiviert werden und durch Ausspülung in das Grundwasser gelangen. Allein durch ein Bodenmanagementkonzept ist es möglich, sicherzustellen, dass Erde mit giftigen Schadstoffen ordnungsgemäß entsorgt wird. Ein solches liegt allerdings nicht vor.

Außerdem bringen die Arbeiten die hydraulische Sicherung in Gefahr. Diese sorgt momentan dafür, dass die im Grundwasser befindlichen Gifte, die trotz erfolgter Sanierung von Teilbereichen des Geländes der ehemaligen Dynamit AG immer noch zuhauf aus dem Wasser gefiltert werden, nicht in das Trinkwasser geraten. Diese hydraulische Sicherung wird durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Brunnen gewährleistet. Laut der Umweltverträglichkeitsprüfung ist es für die Bauarbeiten allerdings notwendig, dass ein Förderbrunnen abgeschaltet wird, der für diese hydraulische Sicherung essentiell wichtig ist.[5] Wie sich das auswirkt, wurde nicht untersucht. In derselben Umweltverträglichkeitsprüfung heißt es dabei, dass der Brunnen permanent betrieben werden muss.[6] Dieser Widerspruch wird nicht aufgelöst. Stattdessen argumentiert das Regierungspräsidium in seiner Genehmigung, es werde „soweit technisch realisierbar, auch während der erforderlichen Abschaltung des Brunnens ein provisorischer Betrieb gewährleistet, damit könne „das Risiko von erheblichen Grundwasserbeeinträchtigungen …derart minimiert werden, dass ein Eintreten von Grundwasserschäden nach menschlichem Ermessen auszuschließen sei.“ [7]  Es ist nicht nachvollziehbar, wie eine Minimierung des Risikos mit einer Maßnahme begründet werden kann, deren technische Realisierbarkeit noch gar nicht überprüft wurde und wie gleichzeitig Grundwasserschäden ausgeschlossen werden können.

Dass eine solche Überprüfung nicht stattgefunden hat, mag daran liegen, dass Ferrero die geplante Investition von 100 Millionen Euro in das neue Lager „an den Beginn der Umsetzung … bis spätestens Mitte 2023“ geknüpft und damit gedroht hat, das Geld andernfalls in andere Projekte zu investieren [8]Das macht es auch wenig verwunderlich, dass die Fällarbeiten vor der Diskussion der Einwendungen bzw. vor dem Ende der Rodungssaison genehmigt wurden.[9]

Widersprüchliche Angaben gibt es auch zu den geplanten Eingriffen in grundwasserführende Schichten. Solche sind so riskant, dass der Zweckverband Mittelhessische Wasserwerke sie beim Ausbau der A49 als „[10] In den entscheidungserheblichen Unterlagen steht aber explizit das Gegenteil: „Die Baugruben der Fundamente greifen in die grundwasserüberdeckenden Schichten“![11]

 

Viele weitere der Einwendungen werden in der Genehmigung erst gar nicht thematisiert, u. a. der Verstoß gegen Vorgaben des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG). Neben den Untersuchungen zur Abschaltung des Förderbrunnens fehlen in der Umweltverträglichkeitsprüfung auch Untersuchungen zur möglichen Freisetzung von giftigen sprengstofftypischen Verbindungen. Vor allem aber verstößt die Umweltverträglichkeitsprüfung gegen das Gesetz, da sie keine Beschreibung der vernünftigen Alternativen enthält: Die einzige beschriebene Alternative ist, die Produktion von Mon Cheri am Standort einzustellen [12].

 

Ist die damit verbundene Drohung, Arbeitsplätze abzubauen, der Grund, warum das Regierungspräsidium Ferrero die Vollständigkeit der Antragsunterlagen bescheinigt, obwohl so wichtige Dokumente wie ein Bauzeitenplan[13],  ein Havariekonzept [14] oder eine Schmutzfrachtberechnung  [15] fehlen und obwohl diverse Dezernate eine inhaltliche Überarbeitung der Dokumente für notwendig erachten?

Diverse Nebenbestimmungen sollen den Wasserschutz sicherstellen: z. B. „sind die Arbeiten durch einen mit den Standortverhältnissen vertrauten hydrogeologischen Sachverständigen fachgutachterlich zu begleiten[16]. Außerdem ist vor „Beginn der Arbeiten … ein Notfallplan für Unfälle mit wassergefährdenden Stoffen zu erstellen“ und „mit der Oberen Wasserbehörde des Regierungspräsidiums Gießen .. abzustimmen“[17] Und nicht zuletzt ist ein Grundwassermonitoring einzurichten  [18] und zur Beweissicherung sind vor (!) Beginn der Rodungsarbeiten zwölf (!) Messstellen „mindestens zwei Mal im Abstand von mindestens zwei Wochen“ zu beproben. [19] Wie dies in den sechs Tagenzwischen dem Erörterungstermin und dem Beginn der Fällarbeiten umgesetzt werden konnte, ist ein mathematisches Rätsel.

Das Regierungspräsidium verteidigt die Genehmigung auch damit, dass der Ausbau selber noch nicht genehmigt sei. Allerdings wäre Ferrero im Falle einer Ablehnung verpflichtet, den früheren Zustand wiederherzustellen und den gerodeten Wald zu erneuern und müsste dafür einem Gutachten zufolge mehr als zwei Millionen Euro zahlen.[20] Das macht es unwahrscheinlich, dass die Genehmigung versagt wird. Dabei verstößt die Baumaßnahme gegen § 52 des Wasserhaushaltsgesetzes. Danach dürfen die für die Bauarbeiten notwendigen Ausnahmen von Verboten der Wasserschutzgebietsverordnung nur dann erteilt werden, wenn der Schutzzweck nicht gefährdet wird oder wenn überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit dies erfordern. Allerdings liegt durch die massiven Eingriffe in die Altlasten und die vorgesehene Brunnenabschaltung eine Gefährdung vor [21] während überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit nicht vorliegen. Das Argument, das Ziel der Sicherung des wirtschaftlichen Wachstums“ einer einzelnen Firma sei zum Wohl der Allgemeinheit ist jedenfalls in Anbetracht  der ungeprüften Alternativen nicht schlüssig. Auch das zweite Argument, die „Schaffung von Arbeitsplätzen“[22], ist sachlich falsch.[23] Zwar enthalten die Unterlagen (interessanterweise) keinen Hinweis darauf, wie die alte Produktionsstätte von Mon Cheri nach dem Umzug in den Neubau genutzt werden soll, aber im Antrag heißt es, dass die Baumaßnahme lediglich einer Modernisierung der Mon Cheri Produktion dient und nicht vorgesehen ist, die Produktion zu erhöhen. Das bedeutet, dass auch keine neuen Arbeitsplätze entstehen. Oder sollte Ferrero dem Regierungspräsidium inzwischen mitgeteilt haben, dass es die freiwerdende Fläche doch zu einer Produktionserhöhung nutzen wird? Dann wäre die Umweltverträglichkeitsprüfung falsch, weil die damit verbundenen Emissionen nicht untersucht sind.

 

Es bleibt trotz der erteilten Rodungsgenehmigung zu hoffen, dass  sich das Regierungspräsidium der Erpressung durch Ferrero nicht beugt und den Wasser- und Bodenschutz so ernst nimmt, wie es die Gesetze erfordern. Denn was nützt den Anwohner:innen von Stadtallendorf der Erhalt von Arbeitsplätzen, wenn dafür ihr Trinkwasser mit sprengstofftypischen Giften verseucht wird und die Krebsrate wieder ansteigt?

 

Hier geht es zu Hintergrundinformationen von Dezember 2022.

 

Hier geht es zu einer Presseerklärung von Dezember 2022.

 

[1] Vgl. die Berichterstattung in der Oberhessischen Presse vom 17.2.23: „Ferrero investiert 100 Millionen“

[2] Vgl. S. 34 des Genehmigungsbescheids vom 16.2.23

[3] S. 48 des Genehmigungsbescheids vom 16.2.23

[4] Entscheidungsrelevanten Unterlagen S. 207. Siehe auch S 175ff.„Durch die geplante Baumaßnahme besteht während der Bauphase eine temporäre Grundwassergefährdung … einerseits durch einen möglichen Eintrag von wassergefährdenden Stoffen, die im Zusammenhang mit der Baumaßnahme verwendet werden und mögliche Schadstoffmobilisierung aufgrund der Lage im Bereich des ehemaligen Rüstungsaltstandorte.“

[5] Seite 45 der Umweltverträglichkeitsprüfung

[6] Seite 23 der  Umweltverträglichkeitsprüfung

[7] S. 46 des Genehmigungsbescheids

[8] S. 54f des Genehmigungsbescheids

[9] Darüber hinaus hält es das Regierungspräsidium für nicht ausgeschlossen, dass Rechtsbehelfe gegen die Zulassung der vorzeitigen Rodung eingelegt werden und damit die Bauarbeiten auf unbestimmte Zeit verzögert würden. (S. 55 des Genehmigungsbescheids)

[10] S. 47 des Genehmigungsbescheids vom 16.2.23

[11] So in einer hydrogeologischen Stellungnahme auf S. 174 der entscheidungserheblichen Unterlagen.

[12] Dort heißt es: „Ohne den Neubau der Halle 3.1 und dessen Nebenanlagen muss die Produktion von Mon Cheri am Standort Stadtallendorf eingestellt werden.“ (S. 9 der Umweltverträglichkeitsprüfung) § 16 des UVPG

[13] S. 34f des Genehmigungsbescheids

[14] S. 177 der entscheidungsrelevanten Unterlagen. Auch der Ausgangzustand des Anlagenstandortes darf nachgereicht werden (S. 32 des Genehmigungsbescheids).

[15] S. 51ff der entscheidungsrelevanten Unterlagen

[16] Punkt 4.7., S. 23 des Genehmigungsbescheids vom 16.2.23

[17] Punkt 4.8., S. 24 des Genehmigungsbescheids vom 16.2.23

[18] Punkt 4.10. S. 25 des Genehmigungsbescheids vom 16.2.23

[19] Punkt 4.13. S. 25 des Genehmigungsbescheids vom 16.2.23

[20] Forstfachlicher Beitrag, Unterlage 19.2.1. der entscheidungsrelevanten Unterlagen  S. 1, 17 . Demgegenüber beträgt die Sicherheitsleistung, die Ferrero zur Wiederherstellung des Waldes zu hinterlegen hat nur gut 400.000 € (vgl. Genehmigungsbescheid vom 16.2.23, S. 20).

[21] Entscheidungsrechtliche Unterlagen S. 175ff und 207.

[22]  S. 55 des Genehmigungsbescheids vom 16.2.23

[23] Das Argumente wurde bereits sachlich falsch für den Ausbau der A49 genutzt:.